Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte der "Welt am Sonntag" gesagt: "Frau Käßmann sollte nicht übersehen, dass die Bundeswehr im Auftrag der Vereinten Nationen in Afghanistan ist. Wir brauchen im 21. Jahrhundert mehr Zusammenarbeit - beim Kampf gegen den Terrorismus ebenso wie beim Umweltschutz und bei der Regulierung der Finanzmärkte." Davon dürfe man niemals einseitig lassen.
Käßmann erklärte in ihrer Reaktion, in der evangelischen Kirche gebe es die Sorge, "dass die Militarisierung durch Truppenverstärkung voranschreitet, ohne dass die zivilen und politischen Friedensoptionen klar gestärkt werden." In der Friedensdenkschrift der EKD "Aus Gottes Frieden leben" von 2007 heiße es: "Die militärische Komponente ist strikt auf die Funktion der zeitlich limitierten Sicherung der äußeren Rahmenbedingungen für einen eigenständigen politischen Friedensprozess vor Ort zu begrenzen".
"Mehr Fantasie für den Frieden"
"Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer begleiten Soldatinnen und Soldaten im Einsatz vor Ort. Sie wissen, welche Traumata bei ihnen entstehen. Auch deshalb halten wir eine klare Exit-Strategie für notwendig", unterstrich die Bischöfin der größten deutschen evangelischen Landeskirche. "Als Bischöfin halte ich mich fern von parteipolitischen Optionen und eine Predigt ist keine Bundestagsrede." Dass die evangelische Kirche die biblische Aufforderung "Selig sind die Friedfertigen" ernst nehme, könne kaum erstaunen. Käßmann: "Deshalb sage ich: Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden und alternative zivile Optionen der Konfliktbewältigung."
Käßmann hatte zu Beginn des neuen Jahres zu einem Friedenszeugnis in der Welt aufgerufen. Gegen Gewalt und Krieg aufzubegehren, brauche "den Mut, von Alternativen zu reden" und sich dafür einzusetzen, sagte die hannoversche Bischöfin in der Dresdner Frauenkirche. In Afghanistan schafften Waffen "offensichtlich auch keinen Frieden". Für den Frieden und die Bewältigung der Konflikte seien "ganz andere Formen" nötig.
Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose bezeichnete die Predigt als "problematisch". Käßmann habe sich nicht als Privatperson, sondern in ihrer Funktion als EKD-Ratsvorsitzende geäußert. "Sie hat sich mit ihrer Äußerung in Gegensatz zur Mehrheit des Bundestages gesetzt." Käßmann vertrete "die Position der Linkspartei" und habe unrecht: "Wenn die internationale Gemeinschaft in Afghanistan scheitert, würde das mit Sicherheit zu einer neuen Welle terroristischer Anschläge führen."
"Inflation politischer Stellungnahmen"
Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, erklärte: "Frau Käßmann macht es sich zu einfach, wenn sie die Botschaft vermittelt, man könne sich kurzfristig aus Afghanistan zurückziehen, ohne sich schuldig zu machen." Schuldig würde man in einem solchen Fall an den Afghanen, die sich auf Deutschland verließen, aber auch an den 43 anderen Staaten, die sich in Afghanistan für die internationale Sicherheit engagierten, sagte Polenz der "Welt am Sonntag".
Das Vorstandsmitglied der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, warf Käßmann in einem offenen Brief vor, sie vermehre die "Inflation politischer Stellungnahmen von Kirchenoberen, die selten über gut gemeinte Banalitäten hinauskommen". Fücks: "Was mich allerdings gegen Kirchenfunktionäre aufbringt, ist die zur Routine gewordene Unart, im Brustton der höheren Moral politische Handlungsanweisungen zu erteilen." Protestantische Verantwortungsethik ernst zu nehmen hieße deshalb, Kriterien für einen legitimen Bundeswehreinsatz aus der Sicht der Kirche zu diskutieren.
Auszug aus Margot Käßmanns Neujahrspredigt:
Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. Vor gut zwanzig Jahren haben viele Menschen die Kerzen und Gebete auch hier in Dresden belächelt … (zur kompletten Predigt)
epd