evangelisch.de: Herr Elitz, Präsident Obama hat in seiner Ansprache als Friedensnobelpreisträger die Ausweitung des Kriegs in Afghanistan verteidigt. Überzeugt er Sie? Und wenn nicht, was raten Sie: Wie kommt der Mann wieder raus aus dem Schlamassel zwischen Anspruch und Wirklichkeit?
Ernst Elitz: Wer sagt schon nein, wenn ihm der Friedensnobelpreis angeboten wird? In der Patsche saßen eher die Juroren, die schon größere Fehlgriffe zu verantworten hatten. So wanden sie 1973 dem erklärten Machtpolitiker Henry Kissinger den Lorbeerkranz, 1978 dem ehemaligen Bombenleger Begin und als Höhepunkt der Peinlichkeit stieg 1994 der Berufsterrorist Jassir Arafat zur Ehre der Altäre auf. Obama hat die Angelegenheit ganz gut in den Griff bekommen, indem er dem Komitee eine Vorlesung über den Krieg im Wandel der Zeiten hielt. Für das in Oslo versammelte abendländische Bildungspublikum hätte er gegen Taliban und El Kaida auch Kant ins Feld führen können, der es durchaus für gerecht hielt, einen "ungerechten Angreifer auf mein Leben" durch Beraubung des seinen außer Gefecht zu setzen. Auch im Märchen wird die Ungerechtigkeit nicht durch gutes Zureden, sondern durch gewaltsames Eingreifen beseitigt. Siehe das Schicksal des bösen Wolfs. Da Obama bisher ein viel versprechender Märchenprinz, aber noch kein erfolgreicher Politiker ist, hätte auch dieser Hinweis die Jury mit ihrer Entscheidung versöhnen können.
evangelisch.de: Drei verdrehte Wörter des Monats: Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Klimaschutzziele, Friedensmission. Welches dieser Wörter geht für Sie am weitesten an der Sache vorbei - und warum?
Elitz: Wachstumsbeschleunigungsgesetz! Grundlage dieser Wohltaten ist eine schwindelerregende Schuldenaufnahme. Insoweit wäre es korrekt, ihm den ehrlichen Namen Staatsverschuldungsbeschleunigungsgesetz oder Gesetz zur Chancenvernichtung künftiger Generationen zu geben.
evangelisch.de: Wir sollen konsumieren, shoppen für die Konjunktur. Die Bundesregierung macht es uns vor - finanzieren Sie Ihre Weihnachtseinkäufe jetzt auch auf Pump?
Elitz: Das wäre die amerikanische Methode. Shopping mit ungedeckten Kreditkarten hatte bekanntlich einen hohen Anteil am Ausbruch der weltweiten Finanzkrise. Ich bin überhaupt der Anti-Shopper. Mir fehlt das Shopping-Gen. Selbst Adventskerzen können es nicht zum Glühen bringen. Ich sympathisiere mit jeder misslaunigen Verkäuferin, die die Kunden durch demonstratives Desinteresse aus dem Laden treibt. Sie ist eine Guerillakämpferin gegen den politischen verordneten Einkaufsrausch. Und jede 30-seitige in verworrenstem Deutsch verfasste Gebrauchsanweisung ist ein Aufruf gegen Mehrwertsteuer und Konsumideologie. Trotzdem wünsche ich allen Pumpgenies ein frohes Weihnachtsfest.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.