Einführung:
In diesem Gottesdienst wollen wir uns zumuten und zutrauen, uns mit der Problematik der Todesstrafe konfrontieren zu lassen. Als Christen, die sich für die Abschaffung der Folter einsetzen, ist uns dieses Anliegen sehr wichtig. Wir sind der Meinung, dass auch die Todesstrafe, die staatlich erlaubte Tötung eines Menschen, eine Form der Folter ist.
Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist uns deutlich bewusst geworden, dass es um Menschen geht – um Menschen, die, wie wir alle, ein Recht auf Leben haben, unabhängig von ihrer Schuld. Auch wenn in unserem Land derzeit niemanden die Todesstrafe droht, betrifft uns dieses Problem, denn wir sind auf dieser Welt eine Menschheit – und die Menschenrechte sind unteilbar. In Solidarität mit den Opfern von Gewaltverbrechen halten wir es für eine Pflicht der Gesellschaft, Verbrecher für ihre Taten verantwortlich zu machen und zu bestrafen. – Das Recht auf Unantastbarkeit der Person muss jedoch für alle Menschen Geltung haben.
Wir beginnen nun mit dem Gottesdienst und versuchen, verschiedene Aspekte des Themas zu betrachten: aus der Sicht der Opfer und der Täter, aus biblischer Sicht, aber auch aus unserer eigenen Betroffenheit.
Eingangspsalm (moderne Übertragung nach Ps.50)
Warum reden wir vom Willen Gottes
und von dem, was er an uns getan hat,
wenn wir uns nicht verantwortlich fühlen
für alle, denen Unrecht geschieht?
Denn es geht nicht um feierliche Stunden,
sondern um das ganze Leben:
dass der Glaube sich auswirkt in dem, was wir tun,
und unsere Tage nicht sinnlos vorübergehen.
Darum reden wir von Gottes Wahrheit und Liebe.
Wer Gott loben will, der wird den Dank in seinem Tun erweisen;
das ist der Weg zu neuem Leben.
Meditation: (auch als Bußgedanken)
Wenn wir die Zeitung aufschlagen,
oder wenn wir uns die Nachrichten im Fernsehen ansehen,
oder wenn wir durch die Straßen des Alltags gehen,
dann sehen, hören und erleben wir,
wie Menschen bedroht, erniedrigt,
und oftmals mitgrausamster Menschenverachtung
zerstört werden.
In unserer entsetzten Hilflosigkeit,
in unserer Wut und Ausweglosigkeit,
in unserem verzweifelten Wunsch, endlich von
dem Bedrückenden befreit zu werden,
rufen wir leicht nach Vergeltung,
rufen wir nach der Vernichtung der Schuldigen.
Gebet:
"Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch verfluchen;
bittet für die, die euch beleidigen",
so heißt es in den Evangelien –
wir aber spüren, Gott der Barmherzigkeit und der Weisheit,
wie wir selbst immer wieder bereit sind,
Gewalt mit Gewalt zu beantworten –
wie wir selbst immer wieder bereit sind,
das Leben derer zu fordern,
die an anderen Menschen schuldig geworden sind.
Und wir merken,
dass Leben, das du gewollt hast,
durch unsere Hände und Gedanken zerstört wird.
Es fällt uns schwer, diese Spannung auszuhalten
Und in jedem Menschen dein Ebenbild zu sehen.
Oft verlieren wir das Vertrauen auf deine Liebe,
die sich geborgen weiß in deiner Hand.
Wir bitten dich:
Hilf uns, dass wir unsere Herzen nicht verschließen vor denen,
die Böses tun und Leben vernichten. Amen
Der Mörder – eine Bestie oder ein Mensch nach dem Ebenbild Gottes?
Ein Bericht von Schwester Helen Prejean - Sie war geistlicher Beistand für Todeskandidaten in Louisiana.
Sie begleitete Willie Celestine, der einen Menschen ermordete, zwei Jahre lang bis zu seiner Hinrichtung. Dieser Bericht kann uns deutlich machen, dass auch der Mörder ein Mensch ist, ein Mensch, dem sein Leben genommen werden soll und damit auch die Chance zur Umkehr. In der dem Text folgenden Stille soll jeder die Möglichkeit haben, den Gefühlen und Gedanken nachzuspüren, die in ihm entstanden sind.
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Mein Magen krampft sich zusammen, als wir uns dem grünen Gebäude tief im Innern von Louisianas Gefängnis nähern. Rote Geranien draußen. Der elektrische Stuhl drinnen. Ebenfalls drinnen – Willie Celestine. Er wurde um 7.30 morgens hierher gebracht. Er soll um Mitternacht sterben. Jetzt ist es 10.30 vormittags. Ich bin sein geistlicher Beistand. Ich habe Willie zwei Jahre gekannt. Er ist beinahe ein Musterbeispiel für Hinrichtungen in Louisiana: ein Schwarzer, der einen Weißen getötet hat. Schlimmer noch, er ist ein Schwarzer, der eine weiße Frau getötet hat. Willie schaut zu mir hoch, als ich eintrete. Mein Magen wird zu einem Knoten aus Stahl. Ich versuche aufmunternd zu wirken, lege seine Hände in meine. Beide sehen wir nicht hin zu der Metalltür am anderen Ende des Raumes. Wir wissen beide, was dahinter ist. Willie ist tapfer. Er ist erschöpft, weil er bereits viermal dem Tode so nahe war. Das letzte Mal, als er hier war, wurde seine Hinrichtung sechs Stunden vor dem festgesetzten Termin abgesagt. Um 11 Uhr kommt seine Familie - seine Mama, sein Papa, Schwester, Bruder, Neffe. Sie umringen ihn. Neuigkeiten - wer geheiratet hat, wer gestorben ist, was die „verrückte Shirley“ am letzten Sonnabend gemacht hat. Gelächter. - Schweigen. - Keiner sieht zu der weißen Metalltür. „Du wirst einen Aufschub bekommen“, sagt seine Schwester, Angst in den Augen.
Um 18 Uhr wird die Familie aufgefordert zu gehen. Willies Mutter küsst ihn, es ist ein kurzer, schneller Kuss. Später beim Begräbnis wird sie mir erzählen, dass sie sich nie von ihm hätte trennen können, wenn sie ihn umarmt hätte. Geräusch von Menschen, die in den Raum kommen. Geräusch von Schritten auf dem Fußboden. Ich wende mich ab und halte meine Tränen zurück. Keine Tränen jetzt. Es ist noch ein langer Weg bis Mitternacht. Zeit für Willies Henkersmahlzeit. Er hat sich ein Gericht mit Flusskrebsen bestellt, nur weil er wusste, sie würden nicht aufhören zu fragen, was er wolle. Er isst davon, aber nicht viel. Wir warten darauf, dass das Telefon klingelt. Einer vom Obersten Gerichtshof, eine Stimme am anderen Ende der Leitung, die sagt, dass du leben oder sterben wirst.
Willie geht in die Aufenthaltszelle und telefoniert mit ein paar alten Freunden, den Watson Brüdern, mit denen er Basketball gespielt hat. Er versucht, mit seiner Ex-Frau zu sprechen, aber ihr Mann erlaubt es nicht. „Verdammt“, sagt er. – Ich denke, er liebt sie immer noch.
Es ist Mitternacht. Sechs Wärter kommen, um Willie in die Todeskammer zu führen. "Los, Celestine".. –Ich darf ihm folgen. Ich werde einer der Zeugen sein. Wir hatten darüber gesprochen und ich entdeckte tief in mir ein Kraftreservoir, so dass ich zu ihm sagen konnte: "Willie, du sollst ein liebendes Gesicht sehen, wenn du stirbst. Vielleicht kann ich ein kleiner, kurzer Anblick von Gottes Gesicht sein. Gott will nicht, dass wir einander dies antun."
Nun es dem Ende zugeht, ist Willie fast lässig. Er spricht seine letzten Worte und bittet die Familie des Opfers, (welche vom Staat die Erlaubnis bekommen hat, der Hinrichtung beizuwohnen), um Verzeihung.
"Es tut mir sehr, sehr leid", sagt er zu ihnen.
Stille
Sprecher A: Wir haben die Geschichte von Willie gehört, die Geschichte eines Mörders. Diese Geschichte hat in mir etwas verändert. Ich bin betroffen. - Ich bin erschrocken. – Ich habe gemerkt, dass Willie ein Mensch ist, keine Bestie. Ich suche nach einer Erklärung, nach einem Bild Gottes, das mir Spiegel sein kann für das, was mit mir geschehen ist.
Sprecher B: In der Bibel finde ich die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Joh 8,3-11).
Text lesen
Sprecher A: Da gibt es eine Angeklagte, eine, die Böses getan hat, wie Willie. Beide haben unzweifelhaft schwere Schuld auf sich geladen, und beide haben massiv gegen die jeweiligen gesellschaftlichen Regeln und Normen verstoßen. Willie hat getötet - die Frau hat Ehebruch begangen - beide Verbrechen werden laut Gesetz mit der Todesstrafe geahndet. Todesstrafe - durch Steinigung - durch Stromschlag
- durch Erhängen - durch die Giftspritze. Todesstrafe - die gesetzlich erlaubte Tötung eines Menschen.
Was sagt Jesus dazu?
Sprecher B: Seine Botschaft liegt nicht auf der juristischen Ebene, er begibt sich nicht auf das Glatteis der Gesetzesdiskussion, sondern zielt mit seiner Botschaft mitten in den Kern des Menschseins: "Siehe, Mensch! Auch dieser sündige Mensch ist ein Mensch! – wer ist ohne Sünde, dass er das Recht hätte, ihn zu töten?" Und alle, die von dieser Botschaft berührt wurden, ließen die Steine fallen.
Sprecher A: Hier finde ich den Spiegel für das, was auch mich berührt hat. In diesem Spiegel erkenne ich mich mit meiner eigenen, individuellen Schuld, mit meinen Sorgen und Wünschen und meinen Ängsten, mit meinem Bedürfnis nach Vergebung und Neuanfang. Aber genau so wie ich mich sehe, sehe ich auch meinen Mitmenschen im Spiegel. – Und so wird mir deutlich, dass keinem Menschen das Recht zusteht, einen anderen Menschen zu töten und ihn damit all seinen Möglichkeiten zur Umkehr zu berauben.
Der einzige, der ohne Sünde ist, ist Gott. Er allein hat das Recht, den Stein zu werfen und zu töten. – Doch wie geht er mit seinem Recht um?
Sprecher B: Ein Beispiel dafür finden wir in der Geschichte von Kain und Abel: Genesis 4, 8-16
Text lesen
Sprecher A: Kain ist zum Mörder geworden, zum Brudermörder sogar, der Gott skrupellos betrügt und frech verspottet. Er wollte seine Tat verheimlichen. Es gab keinen Menschen, der Blutrache von ihm fordern konnte. Aber er hat nicht an das Blut seines Bruders gedacht, das nach Rache schreit. Und so ist es Gott, der das Recht einfordert. Und man hätte erwartet, dass er nach dem Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit Kain mit dem sofortigen Tode bestrafen würde. Aber Gott handhabt sein Recht anders.
Er lässt das Verbrechen nicht ungestraft – er belegt Kain mit der Verbannung. Das ist hart. Es ist so hart, dass Kain sich beklagt – Und Gott tut etwas unglaublich Erstaunliches: Er stellt Kain unter seinen besonderen Schutz! Selbst der Mörder Kain steht durch das sogenannte Kainsmal unter dem Schutz des Herrn. Gott übt seine Rache nicht aus, mitten im Fluch hat er das Leben Kains geschont. Er verzichtet auf Vergeltung, die Kains Leben zerstören würde. Er stellt sich damit zugleich unter sein eigenes Gesetz: Niemand hat das Recht, einen Menschen, der Ebenbild Gottes ist, zu töten.
Stille
Fürbitten:
Wir beten für die Opfer von Gewalt und für ihre Angehörigen:
Gott, Vater, es ist gut und wahr, dass unser Leben nicht mit dem irdischen Tod enden muss. Wir wissen aber auch, wie schwer Opfer von Gewalttaten und deren Angehörige leiden müssen. Gib ihnen in ihrem Leid den Geist des Trostes und der Kraft. Hilf ihnen, mit Kraft den Weg der Vergebung und nicht der Verbitterung zu gehen.
Gott des Trostes und der Vergebung, wir bitten dich gemeinsam:
A: Herr, erbarme dich (als Liedruf)
Wir beten für die Täter und deren Angehörige:
Hilf den Tätern, das Ausmaß ihrer Tat zu erkennen und diese zu bereuen. Gib ihnen Kraft, das Urteil auszuhalten und sich darauf vorzubereiten. Gib ihnen Menschen, die ihnen die Chance lassen, sich zu ändern. Steh den Angehörigen der Täter in ihrem Schmerz bei und hilf ihnen, den schweren Weg der Verurteilung mitzutragen.
Gott, du bist der einzige Gerechte und allwissende Richter, wir bitten dich gemeinsam:
A: Herr, erbarme dich
Wir beten für die Henker und die politisch Verantwortlichen:
Gott, Vater, wir bitten dich für die Menschen, die das Strafmaß in den Gesetzen festschreiben – für die, die Todesurteile aussprechen – und für diejenigen, die diese Urteile ausführen. Lass diese Menschen die Folgen ihrer Entscheidungen und ihre Schuld erkennen.
Gott der Erkenntnis, wir bitten dich gemeinsam:
A: Herr, erbarme dich
Wir beten für uns:
Auch wir sind nicht ohne Schuld. Gott, Vater, lass uns nicht in unserer emotionalen Empörung über fremde Schuld stecken bleiben und schnelle Lösungen dem gerechten Weg vorziehen. Hilf uns, dass wir nicht mit Steinen werfen.
Gott der Lebenden, wir bitten dich gemeinsam:
A: Herr, erbarme dich
Vater Unser, Segen
Liedvorschläge:
Gotteslob (kath.): 297, 299, Kyrierufe,
Evgl.Gesangbuch: 412, 178,