Goldnetz organisiert, in Zusammenarbeit mit der Berliner Tafel, anderen sozialen Vereinen, der Stadt und Firmen bereits seit vier Jahren Weihnachts-, aber auch regelmäßige Sozialmärkte in Berlin. An zwei Tagen im Monat wird mit Gespendetem, Repariertem und Wiederverwertetem aus den eigenen Werkstätten und Lagern gehandelt. 230 Stellen wurden bis jetzt dafür in Kooperation mit Jobcentern, Senatsverwaltung und Bezirksämtern bewilligt. Der Anspruch und die Vielfältigkeit der Tätigkeiten rund um eine größere öffentliche Veranstaltung motiviert die Mitarbeiter, Fluktuation und Krankenstände gibt es kaum.
Goldtaler für Geringverdienende
"Sozial" nennen sich inzwischen viele Weihnachtsmärkte und Veranstaltungen in Deutschland, meist weil für einen guten Zweck gesammelt oder verkauft wird. Die Idee aber, geringer Verdienenden mit einer eigens einzuwechselnden Währung Zugang zu günstigen und trotzdem stimmungsvollen Feiertagen zu verschaffen, ist wohl ziemlich einmalig. Wer nachweisen kann, dass er wenig verdient, kann auf dem Markt sein Geld im Verhältnis 1:2 gegen sogenannte "Goldtaler" umtauschen und damit den Markt geniessen. Diese Idee ist mittlerweile in drei Berliner Stadtteilen so erfolgreich, dass dieses Jahr zum ersten Mal ein großer gemeinsamer Weihnachtsmarkt in Charlottenburg stattfindet, mit über 50 Ständen, Kinder- und Unterhaltungsprogramm, kulinarischen Spezialitäten und allem, was sonst noch dazugehört. In Frankfurt und Offenbach beginnen in Kooperation mit Goldnetz ähnliche Projekte ihre Arbeit. Ermöglichen solche Märkte in Zeiten, in denen viele Menschen sich an der Armutsgrenze entlanghangeln müssen, gesellschaftliche Teilhabe ohne Ausgrenzung?
Fragen an Ute Jaross, die Projektleiterin der Weihnachtsmärkte von Goldnetz.
Evangelisch.de: Wie kam es überhaupt zur Idee der Sozialmärkte?
Ute Jaross: Der Weihnachtsmarkt war die ursprüngliche Idee. As wir darüber nachdachten, etwas für Geringverdienende zu tun, war es kurz vor Weihnachten, da lag das natürlich nahe. Überall wird es schon weihnachtlich, aber wenn man wenig Geld hat, müsste man das Fest eigentlich ausfallen lassen. Uns ist aufgefallen, dass besonders in Familien mit Kindern beim normalen Arbeitslosengeld-II-Satz kaum etwas für Geschenke übrigbleibt. Da haben wir uns gefragt: Wie kann man dem entgegenwirken? Im ersten Jahr nach dem Weihnachtsmarkt haben wir nur saisonale Märkte gemacht, vier oder fünf im Jahr. Sommer, Herbst, Frühjahrs- und Ostermärkte, Themenmärkte eben, bei denen wir aber merkten, wie groß der Zuspruch war. Zuerst haben wir in Spandau angefangen, dann kam Charlottenburg dazu und im Oktober 2008 Berlin Mitte. Praktisch machen wir heute an allen drei Standorten, an denen wir Werkstätten in Berlin haben, monatlich einen Markt.
Ein Markt verlangt Eigeninitiative
Evangelisch.de: Wie bekommen Sie ihr Angebot zusammen?
Jaross: Indem man gebrauchte Sachen aufarbeitet, Spenden akquiriert. Wir haben ja mittlerweile auch Unternehmen, die uns Neuware zur Verfügung stellen. Von Anfang an hatten wir natürlich besonders Familien im Blickfeld. Als wir dann weiter Sozialmärkte organisierten, Richtung Sommer hin, wurden auch die Fahrräder immer wichtiger. In unseren Werkstätten wird fast ausschließlich für die Märkte gearbeitet, so groß ist der Bedarf, nur in Spandau gibt es eine Mischung, da wird auch ein kleiner Teil an Holzspielzeug und Kleinmöbeln für Kitas hergestellt und repariert.
Evangelisch.de: Wieso sollte es eigentlich ein Markt sein und nicht, wie bei anderen sozialen Projekten, ein Geschäft?
Jaross: Wir hatten am Anfang hier in Spandau gute Örtlichkeiten zur Verfügung, vor allem einen Platz auf dem Gelände, wo auch der Spandauer Markt stattfindet. Es bot sich einfach an, weil wir die Vielfalt an Angebot auch gar nicht in einen Raum hätten kriegen können. Markt bedeutete auch so etwas wie eine Zielsetzung, es gibt ein Datum, bis zu dem alles fertig sein muss. Das war auch für die Leute mit denen wir arbeiten wichtig, um sich das vorzustellen. Das ist schon etwas anderes als einen Laden zu bewirtschaften.
Evangelisch.de: Hat es auch etwas damit zu tun hinauszugehen, an die Öffentlichkeit?
Jaross: Genau, rauszugehen, auch mobil zu sein. Dahinter verbirgt sich natürlich auch der Gedanke Eigeninitiative zu ergreifen, das Gefühl "gemeinsam kriegen wir das hin". Die Stände haben wir zum Beispiel alle selbst gebaut. Außerdem stand ja am Anfang von allem der Weihnachtsmarkt und so etwas muss natürlich draußen stattfinden. Die Marktidee war also von Anfang an etwas Neues. Sozialkaufhäuser gab es schließlich 2006 auch schon.
Vielfältige Arbeitsmöglichkeiten
Evangelisch.de: Wie funktioniert das mit Ihren Mitarbeitern, läuft das über Maßnahmen der Agentur für Arbeit?
Jaross: Nein, alle Mitarbeiter der Märkte sind im öffentlichen Beschäftigungssektor tätig und haben einen richtigen Arbeitsvertrag. Der läuft ein Jahr lang, optional auch ein zweites.
Evangelisch.de: Aber zwei Jahre ist das Maximum?
Jaross: Da streiten sich noch die Politiker, wie es mit einem möglichen dritten Jahr ist, das liegt leider außerhalb meiner Entscheidungskraft. Aber immerhin gibt es richtige Arbeitsverträge, mit allen Rechten und Pflichten. Und es gibt auch sehr unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten, wie Holzwerkstatt, Tischlerei, Fahrradwerkstatt oder Näherei. Außerdem in den Stadtteilen noch mal speziellere Sachen, wie in Charlottenburg die Tiffany-Werkstatt, eine Kreativ-Abteilung oder eine Metallwerkstatt in Mitte. Unsere Mitarbeiter kommen ja auch aus unterschiedlichsten Bereichen und das Gute am Marktkonzept ist, dass dafür auch eine große Vielfalt an Tätigkeiten benötigt wird. Das führt dazu, dass man Leute auch tatsächlich entsprechend ihrer Fähigkeiten einsetzen kann.
Evangelisch.de: Ausschließlich handwerkliche Tätigkeiten?
Jaross: Wir haben auch an allen drei Veranstaltungsorten ein großes Büro und Organisationsteam. Das sind jeweils zwischen zehn und 15 Leute, die sich um die Verwaltung, aber auch um technisches Equipment, die Bühne und das Bühnenprogramm kümmern. Es müssen Kontakte zu Kultureinrichtungen in den Bezirken und zu den Künstlern geknüpft werden.
Mitten in der Stadt
Evangelisch.de: Sind die Märkte denn eigentlich auch für Normalverdienende offen?
Jaross: Vor allem über die Image-Kampagne, die wir jetzt mit dem großen Weihnachtsmarkt aller drei Stadtteilprojekte starten. Es geht ja generell um Wertschätzung auch schlecht bezahlter Arbeit, oder solcher auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt. Das ist ja immer relativ, was viel und was wenig ist und wo die Armutsgrenze festgelegt wird. Es geht zuerst um eine Teilhabe der geringverdienenden Menschen, es geht aber auch um eine Akzeptanz in der Gesellschaft. Deshalb haben wir auch gesagt, wir wollen eben nicht irgendwo am Rand oder in einem Hinterhof sein, sondern wir wollen in die Stadt. Wie in Charlottenburg, an einem zentralen Punkt. Das ist ja keine Minderheit, für die wir die Kampagne starten, nicht nur Arbeitslose allein, sondern Rentner, Studenten, Menschen in Teilzeitbeschäftigungen oder mit schlechter Bezahlung. Das trifft einfach ganz viele. Deswegen kommen auch Gutverdienende als Gäste auf den Markt zu Besuch, um uns zu unterstützen. Aber kaufen dürfen tatsächlich nur Menschen, die auch wirklich Geringverdienende sind.
Evangelisch.de: Führt das nicht auch, trotz des öffentlichen Platzes, zu einer gewissen Abgeschlossenheit der Geringverdiener nach außen? Wäre es nicht möglich, dass Normalverdiener entsprechend höhere Preise bezahlen?
Jaross: Das haben wir alles schon diskutiert. Wenn es nach mir ginge, könnte ich mir da auch ein anderes Konzept vorstellen. Meine Hoffnung ist, dass wir noch mal eine Diskussion darüber führen können, aber zurzeit müssen wir uns nach den Vorgaben richten. Wir unterliegen Gesetzmäßigkeiten, die uns von der Agentur vorgegeben sind, wir dürfen nicht wettbewerbsverzerrend agieren oder die Gemeinnützigkeit gefährden. Ich kenne andere Projekte, wo so etwas möglich ist, aber in Berlin ist man da glaube ich besonders streng, was die Vorgaben der Gemeinnützigkeit betrifft. Es geht einfach um Fördermittel und da sind wir in der Nachweispflicht. Für uns ist jetzt vor allem wichtig, dass der Markt erstmals in dieser Größenordnung stattfinden kann, und natürlich, dass er überhaupt weiterexistiert.
Wer darf Kunde sein?
Evangelisch.de: Wie kann oder muss denn ein Kunde bei Ihnen nachweisen, dass er auf dem Markt kaufen darf?
Jaross: Es gibt natürlich Gruppen, die das nicht so leicht nachweisen können, wie zum Beispiel scheinselbstständig Beschäftigte, die müssten dann schon einen Steuerbescheid mitbringen. Was aber gängig ist, ist entweder der Berlin-Pass, das entsprechende Nahverkehrsticket, eine ALG-2-Bescheinigung oder der Rentenbescheid. Man muss auf jeden Fall nachweisen, dass man unter 900 Euro monatlich verdient. Das muss man auch nicht jedes Mal von neuem tun, weil man ja Geld in unsere Währung umtauschen kann und damit dann an den Ständen einkauft.
Evangelisch.de: Wie sieht es denn mit den Einnahmen aus?
Jaross: Das fließt alles komplett wieder in die Projekte, zur Materialbeschaffung. Es ist natürlich so, dass der Träger den ganzen Werkzeug und Maschinenbedarf übernehmen muss, wir können lediglich die Materialkosten mit unseren Einnahmen decken. Aber die Instandhaltung, die ganze Infrastruktur, die Betriebskosten der Werkstätten, das ist dem Träger überlassen. Wir können von Glück reden, dass wir da so gut ausgestattet sind.
Evangelisch.de: Gab es denn eine Weiterentwicklung, seit das Projekt 2006 gestartet wurde?
Jaross: Auf jeden Fall. Allein von den ganzen organisatorischen Abläufen und der Qualität der Waren her hat sich vieles professionalisiert. Unsere Mitarbeiter sind in den verschiedenen Werkstätten fachpraktisch qualifiziert worden, das hat viel ausgemacht. Aber auch wie die Spenden akquiriert werden, wie die Öffentlichkeitsarbeit läuft, das hat sich enorm weiterentwickelt. Das liegt natürlich auch an dem Potenzial der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier. Auf der anderen Seite hat auch die Anzahl der Besucher und Kunden immer mehr zugenommen. Die Probleme sind ja nicht aus der Welt, sondern haben in letzter Zeit mit der Krise eher zugenommen. Es trifft jetzt noch mehr Menschen, gerade in Berlin ist das deutlich zu sehen.
Die Daten und Orte der Märkte gibt es unter: www.sozialmarkt-berlin.de
Georg Klein ist freier Journalist und lebt in Offenbach am Main.