"Kriegspräsident"? Obamas schwerste Entscheidung

"Kriegspräsident"? Obamas schwerste Entscheidung
Seine Miene spricht Bände, die Gesichtszüge sind angespannt - das ist nicht mehr der ewig lächelnde, junge Präsident. Seine Worte klingen hart, die Sätze sind kurz und militärisch. "Wir haben nicht um diesen Kampf gebeten". US-Präsident Barack Obama schlüpft vor den Kadetten der ehrwürdigen Militärakademie West Point ganz in die Rolle des "Commander-in-Chief".
02.12.2009
Von Peer Meinert und Frank Brandmaier

Spätestens an diesem Abend wird klar: Afghanistan, der Krieg, der seit acht Jahren tobt und schon über 920 US-Soldaten das Leben gekostet hat, ist nun zu "seinem Krieg" geworden. Weitere 30.000 Mann nach Afghanistan - das bedeutet eine Verdreifachung der Truppenzahl seit Obamas Amtsantritt im Januar. Obama weiß: Mit dem "erfolgreichen Ende" des Krieges, das er an diesem Abend beschwört, ist von nun an auch sein politisches Schicksal verbunden. Experten in Washington sprechen von der "größten Truppenaufstockung" seit Beginn des Irak-Krieges - das Risiko für Obama ist hoch.

Militär übt Druck aus

Obama baut auf das "Beispiel Irak". Dort hatte die Truppenaufstockung von 2007 an zu beachtlichen Erfolgen geführt. George W. Bush folgte damals den Forderungen seiner Generäle - trotz beißender Kritik vor allem aus dem demokratischen Lager. Jetzt setzt Obama auf dieselbe Karte - die Truppenaufstockung im Irak, die sogenannte "Surge", hatte er abgelehnt, weil er den Krieg und seine Ziele ablehnte. Afghanistan ist anders. "Wenn ich nicht denken würde, dass die Sicherheit der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Volkes auf dem Spiel stünde, würde ich frohen Mutes jeden einzelnen Soldaten schon morgen nach Hause befehlen", sagte er vor den Kadetten von West Point.

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Der Präsident brauchte lange für seine Entscheidung, seinen politischen Gegnern fiel der Vorwurf leicht, er zaudere. Drei Monate lang dauerte die Debatte, immer wieder berief Obama seinen Kriegsrat ein, sagte seinen Generälen, es gehe nicht nur um mehr Truppen. Erst einmal wolle er eine Strategie, die auch funktioniert. Immerhin hatte Obama gleich nach seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr 20.000 zusätzliche Soldaten ins Feld geschickt - am Erstarken der Taliban änderte das aber nichts.

Im Weißen Haus hieß es, es habe Obama schwer verärgert, dass General Stanley McChrystal, Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Kabul, mit seiner Forderung nach 40.000 Mann in die Öffentlichkeit geprescht ist. Unter allen Umständen wollte Obama deutlich machen, dass er sich von seinen Militärs nicht unter Druck setzen lässt. Doch Obamas Spielraum war beschränkt. Hätte er sich dem Verlangen seiner Militärs widersetzt, hätten die Republikaner ihm vorgehalten, er lasse die eigenen "Jungs" im Feld im Stich. Allerdings, es gab nicht immer Einigkeit im Kabinett. Ausgerechnet Vize-Präsident Joe Biden legte sich öffentlich quer, plädierte gar für weniger Truppen.

Nach der Rede: Kritik von allen Seiten

Der Präsident hatte seine Rede in der ehrwürdigen Militärakademie West Point noch nicht gehalten, da stand er schon im Kreuzfeuer der Kritik - aus beiden politischen Lagern. Sein republikanischer Widersacher im Präsidentenwahlkampf, John McCain, kann nichts mit Obamas Zeitplänen anfangen, hält sie für gefährlich. "Man gewinnt Kriege, indem man den Willen des Feindes bricht, nicht, indem man den Zeitpunkt verkündet, zu dem man abziehen will", erklärte der Kriegsheld.

Mancher Demokrat ist nicht viel glücklicher. Wenn es in unserem Kampf wirklich um El Kaida geht, dann sind wir im falschen Land", ätzte der Abgeordnete Jim McGovern. Obama laufe Gefahr, in einem "Sumpf" am Hindukusch zu versinken, sekundierte die Abgeordnete Jan Schakowsky. Und nicht wenige sind höchst skeptisch, ob der Regierung von Hamid Karsai überhaupt zu trauen ist.

Obama - der neue "Kriegspräsident"?

Aber Scheitern ist keine Option für Obama - und für die Welt, sind sich Experten sicher. "Was er in Afghanistan tut, wird seine erste Amtszeit bestimmen und entscheiden, ob er eine zweite bekommt", sagt Bruce Riedel vom Saban-Zentrum für Nahost-Politik in Washington. Behalten Taliban und El Kaida die Oberhand, "werden die Folgen enorm sein, vor allem für Pakistan". Denn dort gebe es nicht nur mehr Terroristen pro Quadratkilometer als in jedem anderen Land der Erde. Pakistan, zweitgrößter muslimischer Staat, beherberge auch das am schnellsten wachsende Atomwaffenarsenal der Welt.

"Wollen Sie wirklich der neue "Kriegspräsident" sein", fragt ihn der Filmemacher Michael Moore in einem offenen Brief. "Kriegspräsident" - ein hässliches Wort, das Obama nicht gerne hört. In ein paar Tagen, am 10. Dezember, wird Obama nach Oslo reisen. Ein Präsident, der kurz vor der Verleihung des Friedensnobelpreises die Eskalation eines Krieges beschließt - eigenartig ist das schon. Ob sich das Nobelkomitee das so gedacht hat? 

dpa