Hier ist für die Erinnerung Endstation: Überwuchert von Efeu und Moos, eingeklemmt zwischen der bröckelnden Friedhofsmauer und einem Sandhaufen verstecken sich in dem Winkel eines Berliner Friedhofs ausrangierte Grabsteine. Wahllos liegen sie über- und nebeneinander. Schmutzige Regenstreifen ziehen sich über Dürers "Betende Hände", aus einer Kreuzgravur wird die letzte goldene Farbe ausgespült, Inschriften wie "Ewige Ruhe" und "Unvergessen" sind verblasst.
"Grabsteine symbolisieren Ewigkeit und werden dem Verstorbenen dauerhaft zugeordnet", sagt Gerold Eppler. Der Kunstwissenschaftler vom Kasseler Museum für Sepulkralkultur kennt sich mit der Symbolik des Todes und den Bemühungen trauernder Menschen aus, das Andenken an einen kürzlich verstorbenen Angehörigen in Ehren zu halten. Die Grabstelle werde als "Refugium des Toten" verstanden, das von einem Stein gekrönt werde, so Eppler weiter. Wuchtiges Naturmaterial, ob skandinavischer- oder asiatischer Granit, rötlicher Impala aus Südafrika oder schwedischer Basalt, soll ewige Erinnerung versprechen.
Doch die Ewigkeit auf Friedhöfen ist endlich. Ihr stehen Vorschriften wie Grabliegezeiten und die "Eigenstandsicherheit" von Grabsteinen entgegen. Zwischen zwölf und 25 Jahren ist die Totenruhe in Deutschland durchschnittlich befristet. Findet sich dann kein Angehöriger mehr, der die Pacht verlängert, wird das Grab einschließlich Stein abgeräumt.
Darf man einen alten Grabstein verkaufen?
"Hallo, an alle, ich will das Grab meiner Eltern nach 25 Jahren aufgeben und den nicht mehr benötigten Grabstein verkaufen. Ist das pietätlos?", fragt auf einem Ratgeber-Portal im Internet ein "Singerl". Die Antworten schwanken zwischen "das kann man doch nicht machen" bis zu "verkauf du ihn, bevor die Friedhofsverwaltung damit Geld macht".
"Nichts ist weniger Wert als ein alter Grabstein, es sei denn, er hat einen historischen Wert", sagt Dieter Lomnitz, Verwalter des Dorotheenstädtischen Friedhofs. Auf dem Berliner Prominentenfriedhof mit seinen berühmten, denkmalgeschützten Gräbern von Brecht, Weigel, Schinkel, Hegel, Marcuse und anderen fallen jährlich bis zu 150 Steine aus geräumten Gräbern an.
In der Mangelwirtschaft der DDR seien die Steine häufig abgeschliffen und ein zweites Mal verwendet worden, berichtet Lomnitz. Das sei ein "unheimlicher kostenintensiver Aufwand", den heute niemand mehr betreibe. Dazu kämen Vorschriften zu Mindeststärken der Grabsteine von durchschnittlich 18 Zentimetern, die nach dem Abschleifen bei den meisten Grabmalen nicht mehr erreicht werden, so der Friedhofsverwalter. Und dann seien da noch die Granitsteine aus China oder Indien, die in Deutschland heute für einen "Spottpreis" zu haben sind.
Verwendung als Schotter oder Uferbefestigung
"So bleibt für die alten schönen Grabsteine oft nur die Steinmühle", bedauert Mando Kramer vom Bundesinnungsverband Deutscher Steinmetze in Frankfurt am Main. Vereinzelt gebe es zwar Friedhöfe, wo Gräber mitsamt ihrer Steine an neue Nutzer weitergereicht werden oder Patenschaften abgeschlossen werden. Aber das sei selten. Dass eine würdige Verwendung von alten Grabsteinen in Deutschland nicht einheitlich und klar geregelt ist, hält Kramer nicht nur kulturgeschichtlich für ein Versäumnis.
Wie alle andere Lebensbereiche habe sich in Deutschland auch die Trauerkultur im Laufe der Zeit geändert, erläutert Gerold Eppler vom Kasseler Sepukralmuseum. Die hohe Mobilität der Menschen führe beispielsweise immer häufiger zur Aufgabe alter Familiengrabstellen, die seit Jahrzehnten ihren festen Platz auf den örtlichen Friedhöfen hatten. "Was soll so jemand noch mit dem alten Grabstein anfangen?", fragt Eppler.
So landen die Steine als Schotter im Autobahnbau, werden zu Trockenmauern in Parkanlagen oder zu Uferbefestigung von Flüssen. Manchmal finden sie aber auch auf den Friedhöfen selbst weiter Verwendung: Als Pflastersteine auf den Wegen - mit der Inschrift nach unten natürlich.