Doch zunächst einmal hat Hallmann ganz andere Dinge im Kopf. Zusammen mit der Bremer Dompastorin Ingrid Witte (49) wirft sie sich den Talar um, richtet das Beffchen und macht aus einem Kneipentisch einen Altar. Mittlerweile ist das Café mit mehr als 100 Gottesdienstgästen brechend voll. Viele bestellen eine Runde Bier, Kakao oder Kaffee, damit das "Vater unser" am Ende eines langen Arbeitstages besser über die trockenen Lippen kommt.
Zehntausende von Kilomtern
Fast sechs Jahre ist Hallmann schon Seelsorgerin für eine Gemeinde, die im Norden zwischen Westfalen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern über die Volksfeste tingelt. Sie tingelt mit und legt dabei jährlich zehntausende von Kilometern zurück. Auf dem großen Volksfest wie auf der kleinen Schützenkirmes besucht sie Konfirmanden, tauft, traut und beerdigt. Jederzeit hat sie ein offenes Ohr, auch dann, wenn jemand mit ihr mitten im lautstark-fröhlichen Rummel über Dialyse oder Krebs sprechen will. "Ich gehe dahin, wo die Leute arbeiten", sagt die 50-jährige und schaut auf ihre Füße. "Dabei laufe ich pro Saison ein Paar Schuhe durch."
"Die Welt ist unser Feld" ist das Motto der zentralen Circus- und Schaustellerseelsorge der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für Hallmann gilt es noch bis zum Ende ihres Dienstvertrages im April kommenden Jahres. "Dann gibt es eine neue Struktur", sagt EKD-Oberkirchenrat Thies Gundlach. In Ostdeutschland wurde bereits die Stelle der Schaustellerseelsorge gestrichen, demnächst fällt auch Hallmanns Job im Norden und Westen weg. Dann setzt die EKD nur noch Südpfarrer Horst Heinrich ein, der für ganz Deutschland zuständig ist. "Ortspfarrer wie die Bremer Dompastorin Ingrid Witte sollen ihn unterstützen", erläutert Gundlach und ergänzt: "Die sind näher dran."
Kritik an neuer Organisation
In der Schaustellergemeinde allerdings trifft die neue Struktur auf Kritik und wird in erster Linie als Kürzung empfunden. "Da geht eine individuelle Betreuung verloren", befürchtet Rudolf Robrahn, Vorsitzender des Bremer Schaustellerbundes. Die Ortspastoren hätten ja schon eine Gemeinde, nun sollten sie eine zweite versorgen. "Es gibt in Deutschland mehr als 5.000 Volksfeste - wie soll das gehen?", fragt Robrahn, dessen Familie schon seit Generationen von Rummel zu Rummel zieht. Er fürchtet, dass vor allem die Basis, vor allem die kleineren Feste leiden werden.
"Frau Hallmann weiß über die Schaustellerregion mehr als ich, die kennt die Probleme in den Familien", lobt Robrahn ihre Seelsorge, die er in erster Linie als Beziehungsarbeit mit einer festen Ansprechpartnerin schätzt. Die Theologin und passionierte Puppenspielerin selbst will noch nicht so recht an ihren Abschied denken, wird im Gespräch dann aber doch wehmütig und beginnt, ihrer Gemeinde nachzutrauern. "Wenn ich länger als fünf Nächte in einem Bett schlafe, werde ich wohl hochschrecken, und mich fragen: Hast du einen Gottesdienst auf dem Auto-Skooter verpasst?"
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