Die Ausgeschlossenen schlagen zurück

Die Ausgeschlossenen schlagen zurück
Mit 22 Schlägen und Tritten ist Dominik Brunner vor anderthalb Monaten in einer Münchner S-Bahn-Station zu Tode geschlagen wurden, minutenlang prügelten zwei junge Schläger auf den mutigen Mann ein, der eine Gruppe von Kindern schützen wollte. Ganz Deutschland war geschockt - und ratlos. Wenn selbst Zivilcourage lebensgefährlich ist: Wer soll die jungen Gewalttäter noch stoppen?
21.10.2009
Von Wolfgang Janisch, dpa

Denn was Experten längst wissen, beginnt nun auch die breite Öffentlichkeit zu ahnen: Höhere Jugendstrafen und mehr Videokameras werden das Übel nicht aus der Welt schaffen. So soll der Plan der schwarz-gelben Koalition, die Höchst-Jugendstrafe bei Mord von 10 auf 15 Jahre zu erhöhen, wohl eher das Gerechtigkeitsempfinden einer zunehmend empörten Bevölkerung besänftigen; dass sich dadurch junge Exzessivtäter abschrecken lassen, glaubt wohl kaum jemand.

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Ob die Jugendgewalt wirklich zugenommen hat, darüber sind sich die Fachleute jedoch nicht ganz einig. Die Zahlen der jüngsten Kriminalstatistik verzeichneten einen leichten Rückgang. Doch langfristig, so meint beispielsweise der Bremer Staatsanwalt Daniel Heinke, habe die Jugendgewalt zugenommen. Einigkeit herrscht aber darüber, dass herkömmliche Erklärungsversuche zu kurz greifen: Dass junge Männer mit bisher nicht gekannter Brutalität zuschlagen, lässt sich jedenfalls nicht mit Allgemeinplätzen wie Orientierungslosigkeit oder Werteverfall erklären.

"Geheiligte Zornkollektive"

Der Soziologie Heinz Bude spricht von den "Ausgeschlossenen". Junge Männer fallen aus der Arbeitsgesellschaft heraus, weil sie die Jobs nicht bekommen, die sie wollen. Und die Jobs nicht wollen, die sie bekommen: Man will Automechaniker werden, doch das ist durchaus anspruchsvoll heutzutage, und wenn die Schulbildung nicht reicht, bleibt halt die Altenpflege - was mit dem übersteigerten Ehrbegriff bestimmter junger Männer aber nicht vereinbar ist. "Sie treten als geheiligte Zornkollektive auf, die auf Rache an einer Welt sinnen, die ihnen die Bedeutung verweigert", schreibt Bude.

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Männlichkeitsmythos und übersteigerter Ehrbegriff: Nach Erkenntnissen von Daniel Heinke liegt dort eine Wurzel für die unglaublich Brutalität, mit der bestimmte subkulturelle Jungmänner- Cliquen - oft unter Alkoholeinfluss - auf den geringsten Anlass reagieren. "Sie verteidigen das, was sie noch haben, nämlich ihr Verständnis von Männlichkeit", sagt Heinke, der eine kriminalwissenschaftliche Untersuchung über das "Tottreten" veröffentlicht hat. Dabei geht es um den Rang in der Clique: "Wer seinen Platz in der Gruppe behalten will, muss vermeintlichen Ehrverletzungen gewaltsam entgegentreten."

Joachim Kersten, Soziologe an der Deutsche Hochschule der Polizei in Münster, spricht sogar vom "Spaß und Kick", den die Gewalt vermittelt. "Die Tat gilt als cool, gar als gerecht, weil das Opfer diskriminiert oder verweiblicht wird." Die Erniedrigung bringe einen "Zuwachs an maskuliner Bestätigung", schreibt der Professor in einem Aufsatz. "Gerade wenn sozialer Status und Perspektive, Bildung und andere Ressourcen fehlen, hat Gewalt Sinn und macht Spaß."

Warnungen vor Folgen exzessiven Medienkonsums

So ist es wenig überraschend, dass nach Heinkes Untersuchungen die Gewalttäter sich vorwiegend aus sogenannten bildungsfernen Schichten rekrutieren. Und häufig aus Familien mit Migrationshintergrund: "Herkunftsbereiche wie die Türkei und der arabische Raum sind deutlich überrepräsentiert", sagt der Jurist - ein Befund, der sich mit Erkenntnissen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) deckt.

Und was ist mit den Medien? Was der Konsum brutaler Actionfilme und Computerspiele zur Gewaltbereitschaft beiträgt, gehört zu den besonders heftig umstrittenen Forschungsfeldern. Insbesondere das KFN warnt vor den brutalisierenden Folgen eines exzessiven Medienkonsums. Andererseits: Eine unmittelbare Ursächlichkeit lässt sich jedenfalls nicht feststellen - längst nicht jeder, der Gewaltvideos sieht, wird selbst gewalttätig.