Wegen Thilo Sarrazin: Deutschland in Aufruhr

Wegen Thilo Sarrazin: Deutschland in Aufruhr
Kurt Tucholsky hat vor genau 90 Jahren in einem Beitrag für das Berliner Tagblatt ("Was darf die Satire!?") den Satz geschrieben: "Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel."
08.10.2009
Von Henryk M. Broder

Inzwischen ist es noch schlimmer. Wenn einer bei uns das Kind beim Namen nennt, dann schreit halb Deutschland: Stopft ihm das Maul! Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (noch immer SPD) ist dafür bekannt, dass er Klartext redet, keine Rücksicht auf Freund und Feind nimmt und gerne aneckt. So hat er zum Beispiel vor einiger Zeit behauptet, ein Sozialhilfeempfänger könne sehr wohl von etwa vier Euro am Tag leben, wenn er sich beim Einkaufen Mühe geben würde. Der Sturm der Entrüstung, den er damit auslöste, ging quer durch die Parteien und die Medien. Sarrazin blieb bei seiner Feststellung.

Nun steht der störrische Sozialdemokrat, inzwischen Vorstand bei der Bundesbank, wieder im Fokus einer Kritik, die sich nicht an der Wirklichkeit orientiert, sondern den Regeln der "political correctness" entspringt. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, sagte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Sarrazins Menschenverachtung ist untragbar." Sarrazin müsse von seinem Job als Vorstand bei der Bundesbank zurücktreten, er sei eine Gefahr für die "Substanz" der Institution.

Bundesbank-Präsident Weber riet seinem Kollegen, er solle "in sich gehen und sich selbst prüfen"; SPD-Politiker fordern ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel des Parteiausschlusses, das Berliner Landeskriminalamt prüft, ob gegen Sarrazin ein Verfahren wegen "Volksverhetzung" eingeleitet werden soll.

Was hat der Mann verbrochen? Er hat der Zeitschrift "Lettre International" ein Interview gegeben, in dem er sich zu der politischen und sozialen Lage in Berlin äußert und dabei, wie es seine Art ist, kein Blatt vor den Mund nimmt. Sarrazin sagte unter anderem:

- "Berlin ist belastet von zwei Komponenten: der 68er-Tradition und dem Westberliner Schlampfaktor. Es gibt auch das Problem, dass 40 Prozent aller Geburten in der Unterschicht stattfinden. Hier werden Trends verstärkt sichtbar, die ganz Deutschland belasten …"
- "Je niedriger die Schicht, desto höher die Geburtenrate. Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung des Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun ..."
- "Ich muss niemand anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert ..."
- "Wir müssen in der Familienpolitik völlig umstellen: weg von Geldleistungen vor allem bei der Unterschicht …"
- "Der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky erzählt von einer Araberfrau, die ihr sechstes Kind bekommt, weil sie durch Hartz IV dadurch Anspruch auf eine größere Wohnung hat ..."
- "Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen …"

Wer ab und zu einen der Berliner "sozialen Brennpunkte" besucht, deren Einwohner vor allem von "Transferleistungen" leben, weiß, dass Sarrazin die Wirklichkeit so beschreibt, wie sie ist und nicht, wie sie seit vielen Jahren dargestellt wird - eine multikulturelle Idylle mit kleinen Schönheitsfehlern, die durch sozialtherapeutische Maßnahmen behoben werden kann. Rund um die so genannte Armut, die aus einer Mischung von innerer Verwahrlosung und äußerer Fürsorge resultiert, hat sich eine Armutsindustrie gebildet, die davon lebt, dass die Armen auf ihre Hilfe angewiesen bleiben. Sarrazin hat Recht, man könnte ihm allenfalls vorwerfen, dass er in seiner Analyse nicht weit genug geht: Es ist der Sozialstaat, der mit den Problemen nicht fertig wird, die er selbst geschaffen hat.

Wie in den meisten Fällen, in denen eine Situation so verfahren ist, dass ihre Fortsetzung als das kleinere aller möglichen Übel erscheint, wird auch diesmal der Botschafter für die Überbringung der Botschaft bestraft. Der Kaiser ist nackt, alle wissen es. Dass er weiter durch die Gegend reiten kann, hat er seinen Untertanen zu verdanken, die ihre Kleider ebenfalls an der Garderobe zur "political correctness" abgegeben haben.