Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warnt. Davor, dass sich die Gesellschaft nur noch an materiellen Werten orientiert. Dass die Gesellschaft im Virtuellen jedes Maß verliert. Dass es zu Vereinzelungen kommt, dass sich Ersatzwelten bilden, dass wir immer mehr schockierende Vernachlässigung und Verrohung erleben. Dass immer mehr Menschen den Wert von Gemeinschaft nicht mehr wirklich zu schätzen wissen.
Bundesinnenminister Schäuble hat das vor ein paar Tagen erst gesagt. In Kassel. Zum Auftakt der Zukunftswerkstatt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Kein Zufall, dass Wolfgang Schäuble dort war. Er sieht in den Kirchen einen wichtigen Faktor. Die der Gesellschaft maßgeblich helfen kann. Damit all dem, wovor er warnt, entgegen gewirkt wird. Die evangelische Kirche soll die Tugend der Offenheit weiter pflegen, hat Schäuble den Protestanten in Kassel ins Stammbuch geschrieben.
Bundesinnenminister Schäuble steht heute auch zur Wahl. Seine Partei, die CDU/CSU wird die Mehrheit der Stimmen erhalten – soviel scheint festzustehen. Mit wem sie dann regieren wird, weiß zur Zeit noch niemand. Wahrscheinlich aber ist, dass die Kanzlerin im Amt bleibt. Womit die evangelische Kirche protestantische Ansprechpartner in wichtigen Regierungsämtern behalten würde. Schäuble ist evangelischer Christ aus Baden, die evangelische Pfarrerstochter Merkel hat mit Kanzleramtsminister de Maiziere und Staatsminister Gröhe zwei weitere Protestanten in ihrer unmittelbaren Nähe. Gröhe, einer von vier Herausgebern des evangelischen Magazins chrismon, hat darüber hinaus ein hohes Kirchenamt inne: Er ist Mitglied im Rat der EKD. Und der ehemalige Innenminister und kurzzeitige Ministerpräsident von Bayern, Kurt Beckstein (CSU), wurde unlängst zum stellvertretenden Präses der EKD Synode gewählt.
Heißt das, die protestantische Heimat findet sich in der CDU/CSU? Aber nein. Katrin Göring-Eckardt, prominente Politikerin der Grünen, residiert seit ein paar Wochen an prominenter Stelle in der EKD. Ihre Wahl zur Präses der EKD Synode im Mai manifestiert das gute Verhältnis der Grünen zur evangelischen Kirche. Zudem wird sie in zwei Jahren den Kirchentag in Dresden leiten. Die Grünen demonstrieren geradezu ihr gutes Verhältnis zu den Kirchen. Wobei sich die Partei in ihrem grünen Gesellschaftsvertrag auf den Islam konzentriert. Dessen Gleichstellung mit den christlichen Kirchen ist für die Grünen ein Essential. Und auch die FDP setzt sich in ihrem Deutschlandprogramm für Toleranz und Respekt vor der Glaubensüberzeugung des Anderen ein. Die Liberalen sagen Ja zum Zusammenwirken von Staat und Kirchen im Interesse des Gemeinwesens.
So sehr die Wahl von Göring-Eckhardt zur Synoden-Präses zu einem guten Verhältnis von evangelischer Kirche und Grünen beiträgt, so sehr entsteht dadurch eine plötzliche Entfernung von SPD und Protestanten. Oder täuscht der Eindruck?
Jedenfalls hinterlassen so prominente evangelische Christen wie Johannes Rau, Erhard Eppler und Jürgen Schmude, der jahrzehntelang an der Spitze der Synode stand, eine Lücke. Das mag eine gewisse Distanz schaffen, von Entfremdung findet sich aber keine Spur. Schließlich ist auch Frank-Walter Steinmeier, der sozialdemokratische Spitzenkandidat, ein überzeugter evangelischer Christ. Davon zeugen nicht zuletzt seine engagierten Auftritte auf dem Kirchentag in Bremen. Und auch Parteiprominente wie die Katholiken Franz Müntefering, Andrea Nahles und Wolfgang Thierse sind bekennende Christen. Es wird wohl erst die Zukunft weisen, wie tief und schmerzhaft die Spuren bleiben, die durch die Kontroverse um den Religionsunterricht und den Sonntagsschutz in Berlin entstanden sind.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Es gibt sie, die Nähe von Protestanten und Politik, personell und programmatisch verteilt auf CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne. Nur eines gibt es nicht: Offizielle Kontakte der evangelischen Kirche zur Linkspartei. Da ist die Devise unmissverständlich: Erst müssen sich die Linken klar und offen auseinandersetzen mit der Rolle, die die SED bei der Drangsalierung von Christen in der DDR gespielt hat. Normalität in den Beziehungen kann ein politisches Ziel sein. Bis dahin allerdings muss noch eine gute Wegstrecke zurückgelegt werden.