Senioren: Welche Bedeutung hat diese große Wählergruppe?

Senioren: Welche Bedeutung hat diese große Wählergruppe?
Noch nie gab es bei einer Bundestagswahl so viele alte Wähler. Knapp ein Drittel der 62,2 Millionen wahlberechtigten Deutschen ist inzwischen älter als 60 Jahre. Da diese Altersgruppe am Sonntag aller Voraussicht nach zuverlässiger als die Jungen ihren Termin im Wahllokal wahrnehmen wird, entscheidet sie überproportional über das Ergebnis. Was heißt das für die Wahl und für die relevanten Themen?
25.09.2009
Von Katharina Weyandt

Schon kündigen Schlagzeilen einen "Krieg der Alten gegen die Jungen" an. Die große Koalition hat in diesem Jahr eine außerplanmäßige Rentenerhöhung beschlossen. Wird die nachwachsende Mehrheit der Senioren mit ihren Interessen die künftigen Entscheidungen dominieren? Was sind überhaupt die Interessen der Wähler über 60?

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Die Antwort entlarvt das Kriegsgeschrei als blinden Alarm. Matthias Jung von der "Forschungsgruppe Wahlen", welche die ZDF-Wahlsendungen begleitet, sagte evangelisch.de, dass sich die Alten bei der Bundestagswahl nur marginal vom Durchschnitt der Bevölkerung unterscheiden. Genauer: "Auch hier halten mit 58 Prozent (gesamt: 60 Prozent) die meisten die Arbeitslosigkeit für das wichtigste Problem, danach folgt mit 14 Prozent (gesamt: 19) die allgemeine wirtschaftliche Lage. Die Fragen der Alterssicherung und der Renten werden von 10 Prozent (gesamt: 6) zu den wichtigsten Problemen von den über 60-Jährigen gerechnet. Die Gesundheits- und Pflegepolitik von 9 Prozent (gesamt: 6)." Außerdem weist er auf den allgemeinen Trend hin, dass die Älteren eher die Unionsparteien wählen. "Lebenszykluseffekt" nennen das die Forscher.

"Wahlprüfsteine" der Seniorenverbände

Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass die Parteien spezielle Senioreninteressen beruhigt – bei CDU und CSU - oder resigniert vernachlässigen würden. Das ist jedoch zu kurz gegriffen.

Über 13 Millionen ältere Menschen in über 100 Mitgliedsverbänden hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenverbände (BAGSO) hinter sich geschart. Diese aktiven Alten verstehen "Seniorenpolitik als Querschnittaufgabe", gemäß einer Definition der Vereinten Nationen, die Deutschland 2002 übernommen hat. Sie haben ihre in Arbeitsgruppen diskutierten "Wahlprüfsteine" bei den im Bundestag vertretenen Parteien abgefragt. Thema war zum Beispiel die Alterssicherung, angesichts der künftigen niedrigen Renten, und die Beschäftigungschancen älterer Menschen. Sowie Maßnahmen für eine flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung in Deutschland, etwa durch Anreizsysteme für medizinische Leistungen in ländlichen Gegenden.

Ein weiterer Fragenkomplex widmet sich dem "Erhalt der Selbstständigkeit im Alter", gerade auch bei Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, welche ein funktionierendes und für alle Menschen bezahlbares Gesundheitswesen, eine am Menschen orientierte Pflege sowie eine gute hauswirtschaftliche Versorgung erfordere. Ergebnis: Alle Parteien bekennen sich zu den Herausforderungen des demographischen Wandels. Die Fragen und Antworten, wie sie politisch konkret darauf reagieren wollen, füllen eine 60 Seiten starke Broschüre (pdf). Diese detaillierte Beantwortung, so BAGSO-Geschäftsführer Dr. Guido Klumpp, zeige deutlich, welche große Rolle die Seniorenpolitik spiele.

Viel beschworener Pflegenotstand kaum Thema

Schade nur, dass angesichts Aussagen-Fülle die BAGSO keine Zusammenfassung als Hilfe für den Wähler liefern kann. Oder eine Bilanz, was die große Koalition im Vergleich mit ihren Wahlversprechen und dem Koalitionsvertrag erreicht hat. Da kann Klumpp nicht helfen. Sein Verband, in dem auch die Seniorenorganisationen der Parteien Mitglied sind, müsse sich parteipolitisch neutral verhalten. Die Wähler hätten hier eine Entscheidungshilfe, die auch auf vielen Veranstaltungen diskutiert würde.

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Wie sieht es mit der Altenhilfepolitik im engeren Sinne aus? Wer sich erinnert, wie in den letzten Jahren immer wieder von "Pflegenotstand" und "Pflegeskandal" die Rede war, erwartet ein deutliches Echo in den Wahlprogrammen. Fehlanzeige, urteilt Brigitte Teigeler, Redakteurin der Fachzeitschrift "Die Schwester - der Pfleger": "Die Pflege ist im Wahlkampf ein Nebenschauplatz. Nur wenige Aussagen beschäftigen sich konkret mit pflegerischen Problemlagen ... Diese beschränken sich zudem meist auf Worthülsen und Allgemeinplätze."

Tatsache ist, dass der Wahlkampf bei Gesundheit und Pflege kein herausragendes Streitthema gefunden hat. BAGSO-Experte Klumpp räumt ein: "K.-o.-Kriterien für eine Wahlentscheidung wie der Atomausstieg oder eine Mehrwertsteuererhöhung" seien in diesem Themenfeld nicht dabei. Auch der Wahl-o-Mat, mit dem Millionen Internet-User an Hand von knappen Aussagen ihre Parteienpräferenzen überprüft haben, enthält nur eine These zum Gesundheitsfonds und eine zur Rente, nichts zur demographischen Herausforderung der Zukunft. Die zuständige Ministerin Ulla Schmidt erregte die Öffentlichkeit im Sommer mit der Finanzierung ihrer Dienstwagenfahrt, nicht mit der Finanzierung der Pflegeversicherung.

20.000 unterschreiben für würdevolle Pflege

Hier setzte die Diakonie als Fürsprecherin von Pflegenden und Pflegebedürftigen an. Erstmals hat sie vor dieser Wahl mit einer bundesweit gemeinsamen Aktion die Politik auf den dramatischen Zustand in der Pflege aufmerksam gemacht. Unter dem Motto "Weil wir es wert sind" wurden in vier Monaten etwa 20.000 Unterschriften von Menschen gesammelt, welche die Forderungen nach einer "würdevollen und qualifizierten Pflege" unterstützen. Neun Tage vor der Wahl wurden sie allen Bundestagsparteien übergeben. Kern der Forderungen ist ein existenzsicherndes Einkommen für alle Pflegekräfte. Dabei müsse das geltende Arbeitsrecht vollständig berücksichtigt werden, forderten Diakoniepräsident Klaus-Dieter Kottnik und der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege Wilfried Voigt. Im Klartext: keine Dumpinglöhne. Eine Vorläufer-Aktion hatte schon 2007 die Diakonie Hamburg gestartet, gemeinsam mit anderen wie dem Arbeitersamariterbund (ASB) und der Gewerkschaft ver.di

In Niedersachsen, wo die Diakonie mit besonders niedrigen Vergütungen der Pflege zu kämpfen hat, wurden erfolgreich die Bundestagskandidaten in Pflegeeinrichtungen eingeladen. Fast alle beteiligen sich, zum Beispiel war die auch für Senioren zuständige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor wenigen Tagen im Christinenstift in Gifhorn.

Ob die verstärkten Bemühungen um die Seniorenpolitik Früchte tragen – schon bei dieser oder bei der nächsten Wahl? Forscher Matthias Jung verspricht: "Grundsätzlich wissen wir natürlich erst richtig nach einer Wahl, wie die verschiedenen demoskopischen Untergruppen gewählt haben." Es bleibt spannend.

 

 

Links: www.stark-fuer-die-pflege.de, www.weil-wir-es-wert-sind.de