Derzeit für heftige Diskussionen sorgen die sogenannten Überhangmandate, von denen bei der Bundestagswahl 2009 voraussichtlich die Union profitieren wird. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?
In jedem Bundesland wird eine vorgegebene Anzahl Bundestagssitze vergeben. Grundsätzlich bekommt jede Partei so viele Sitze, wie es dem prozentualen Anteil an Zweitstimmen entspricht, den diese Partei erzielt hat (Verhältniswahlrecht).
Allerdings wird über die Erststimme die Hälfte der Abgeordneten auch in jedem Wahlkreis direkt gewählt. Deshalb kann es passieren, dass eine Partei in einem Bundesland mehr direkte Mandate bekommt, als ihr Sitze auf Basis der Zweitstimmen zustehen. Diese direkt errungenen Mandate darf die Partei behalten - genau das sind die Überhangmandate. Sie lassen die Zahl der Abgeordneten des Bundestags über die reguläre Anzahl von 598 steigen.
Im Bund keine Ausgleichsmandate
In einigen Bundesländern sieht das Wahlrecht bei Landtagswahlen dann Ausgleichsmandate vor, die gewährleisten, dass die Sitzverteilung insgesamt doch wieder dem Verhältnis der Zweitstimmen entspricht - im Bundeswahlrecht gibt es jedoch keine solchen Ausgleichsmandate.
Zwölfmal sind bislang bei Bundestagswahlen Überhangmandate angefallen. 2005 kamen die Parteien zu 16 zusätzlichen Mandaten (SPD 9, CDU 7). Nur 1994 waren es ebenso viele (CDU 12, SPD 4). Bei der Bundestagswahl 2002 kamen die Parteien zu fünf (SPD 4, CDU 1) Überhangmandaten. 1998 erhielt die SPD 13 zusätzliche Plätze im Parlament.
Die Regierung von Gerhard Schröder (SPD) verdankte 2002 ihre zunächst stabile Mehrheit besonders den vier SPD-Überhangmandaten. Für die christlich-liberale Koalition hatten diese Mandate 1994 eine besondere Bedeutung. Der knappe Vorsprung bei der Mandatsverteilung nach den üblicherweise ausschlaggebenden Zweitstimmen wurde so von zwei auf zehn Sitze ausgebaut. Auch bei der kommenden Bundestagswahl dürften Überhangmandate nach Ansicht von Experten der Union zusätzliche Sitze im Parlament bescheren.
Verfassungsrichter bemängelten Wahlrechtsdetail
Im Februar 1998 verbot das Bundesverfassungsgericht, künftig ausgeschiedene Gewinner von Überhangmandaten durch Listen-Nachrücker zu ersetzen. Im vergangenen Jahr bemängelte Karlsruhe eine Klausel im Wahlrecht, die dazu führen kann, dass eine Partei im Zusammenspiel von Überhangmandaten und anderen Besonderheiten durch zusätzliche Stimmen sogar einen Abgeordnetensitz verlieren kann ("negatives Stimmgewicht").
Die Richter gaben dem Bundestag jedoch bis Juni 2011 Zeit, dies zu ändern. Seitdem wurde mehrfach die Forderung laut, das Wahlrecht schon für die Bundestagswahl 2009 zu ändern. Dafür fand sich in der laufenden Legislatur aber keine Mehrheit - einen entsprechenden Gesetzentwurf der Grünen lehnte seinerzeit auch die SPD ab, die nun die Union scharf dafür attackiert, gegebenenfalls auch mit einer nur auf Überhangmandaten beruhenden schwarz-gelben Mehrheit regieren zu wollen.
ups