Stürmische Ouvertüre zur China-Buchmesse

Stürmische Ouvertüre zur China-Buchmesse
China ist das Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Schon beim ersten Symposium wird klar: Kritiker will das offizielle China nicht zu Wort kommen lassen.
14.09.2009
Elvira Treffinger, epd

Ein China-Symposium als Testlauf: Für die Leitung der Frankfurter Buchmesse und den P.E.N.-Club war es am Wochenende ein Muss, die beiden Regimekritiker Dai Qing und Bei Ling auf die Bühne zu bitten. Auf Druck Pekings faktisch ausgeladen, hatten sie die Chuzpe bewiesen, trotzdem zu kommen. Die Reaktion folgte prompt: Als Dai das Wort ergriff, verließ ein Großteil der offiziellen chinesischen Delegation den Saal. Ein stürmischer Auftakt zur Tagung "China und die Welt - Wahrnehmung und Wirklichkeit" - ein Vorspiel zur diesjährigen Buchmesse, die vom 14. bis 18. Oktober stattfindet, mit China als Ehrengast.

In einer Pause flogen im Hinterzimmer die Fetzen, dann kehrte die Delegation zurück. Den angedrohten Boykott gab es also nicht. Hatte Buchmesse-Direktor Juergen Boos sich am Morgen für das Hin und Her
bei Dai Qing und Bei Ling entschuldigt, entschuldigte er sich nun für mangelnde Absprache bei dem chinesischen Komitee, das den Ehrengast-Auftritt koordiniert und das Symposium mitveranstaltete.

 

Westliche Überheblichkeit?

Boos warb für Diskurs und kritische Auseinandersetzung: "Diskussion ist notwendig, dafür steht das Buch, dafür steht die Buchmesse." Die chinesische Seite führte im Wortgefecht schwere Geschütze auf. «Wir sind nicht gekommen, um uns in Demokratie-Unterricht belehren zu lassen», sagte Mei. "Diese Zeiten sind vorbei." Der Diplomat nahm Bezug auf die Auswüchse des preußischen Nationalismus wie die "Hunnenrede", in der Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1900 den nach China entsandten deutschen Truppen besondere Grausamkeit befahl. Und er zitierte den Spruch "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" als Beispiel westlicher Überheblichkeit.

Den gleichberechtigten Dialog, den Mei so vehement von der deutschen Seite einforderte, verwehrte er den chinesischen Kritikern. Man kann als Fortschritt werten, dass er Fragen Dais, aus dem Publikum heraus, nicht einfach ignorierte. Seine Antwort zu Menschenrechten musste jedoch enttäuschen, blieb sie doch dem Stereotyp verhaftet, Unfreiheit mit Armut zu rechtfertigen:"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral", zitierte der Diplomat aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht.

Um einiges nachdenklicher fiel die Debatte über das China-Bild der Medien und Chinas Bild von den Medien aus. Die Chef-Korrespondentin des chinesischen Staatsfernsehens (CCTV) in Berlin, Ji Yun, empörte
sich über die fälschlich Tibet zugeordneten Fernsehbilder von 2008 und «populistische Aussagen» in deutschen Medien, "die eine negative Stimmung erzeugen". Wie die heute abwegig klingende Vermutung, die Chinesen könnten vor einiger Zeit schuld an den hohen Milchpreisen gewesen sein. China diene als Drohkulisse für die Zukunftsangst der Deutschen, vermutet sie.

 

Kritik an deutschen Medien

Chinesische Medien sind laut Ji dagegen meist sehr vorsichtig mit Kritik an Europa. Sie wollten mit ihren Berichten vor allem Positives aufgreifen, als Anregungen für zu Hause. "Gibt es in den deutschen Medien überhaupt keine Zensur?" fragte sie provozierend. Dass chinesische Medien sich auch verändern, über Korruption und Umweltskandale im eigenen Land berichten, wird ihr zu wenig honoriert: Statt der großen Melone nebenan sehe man nur einen Sesamkern. Der Deutsche-Welle-Redakteur Shi Ming nahm das Sprichwort auf. Er verteidigte das Recht und die Pflicht, "den Sesam zu sehen". Zugleich mahnte er, durchaus selbstkritisch, Journalisten zu mehr Genauigkeit und kritischer Reflexion.

Für den spanischen Autor Enrique Fanjul verstellt die Konzentration auf die Menschenrechtsfrage die Fortschritte Chinas in den vergangenen 30 Jahren. Doch jeder zum Schweigen oder zu Gefängnis
verurteilte Regimekritiker widerspricht dem Freiheitsbegriff der Allgemeinen Menschenrechtserklärung.

Der Leiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Harald Müller, wies darauf hin, dass Großbritannien 800 Jahre brauchte, vom ersten Grundgesetz, der Magna Charta, bis zur Einführung des Frauenwahlrechts. Und den chinesischen Beamten schrieb Müller ins Stammbuch, dass China an seinem Umgang mit Dissidenten gemessen wird.