Dass die Rechtfertigungslehre für die evangelische Theologie und ihre Kirchen zentrale Bedeutung habe, dürfte nicht strittig sein, sagte Vizepräsident Thies Gundlach vom EKD-Kirchenamt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er habe auch schon Schlimmeres erlebt als die Tatsache, dass die evangelische Kirche evangelische Dogmatik reflektiere und sich dabei über die "zentrale Schlüsselkategorie Rechtfertigung" Gedanken mache.
Gundlach reagierte damit auf Kritik der Historiker Heinz Schilling und Thomas Kaufmann, die der EKD eine "dogmatische Geschichtsdeutung" bei der Vorbereitung des 500. Reformationsjubiläums vorwerfen. Der EKD-Text "Rechtfertigung und Freiheit" nehme die Ergebnisse der internationalen Reformationsforschung seit 1945 überhaupt nicht zur Kenntnis, bemängelten die beiden Fachleute für Reformationsgeschichte. Für die EKD hatte eine Kommission unter Leitung des Berliner Kirchenhistorikers Christoph Markschies Mitte Mai einen theologischen Grundsatztext vorgelegt, der die Bedeutung von Martin Luthers Lehre für die Gegenwart vermitteln soll.
"Streit um die Deutungshoheit"
Das Grundlagenpapier diene der "theologischen Selbstverständigung" für die Gegenwart, argumentierte Gundlach. Dieses Vorgehen sei auch dann berechtigt, wenn sich erweisen sollte, dass die Rechtfertigung für die Reformationsgeschichte nicht zentral war. Keineswegs alle Historiker behaupteten, dass die Lehre von der Rechtfertigung ein "Nebengleis" der Reformation sei und keine zentrale Rolle spiele. Ob und inwiefern sie historisch gesehen der "zentrale Baustein der Reformation" gewesen sei, müssten die Historiker unter sich klären.
Wenn allerdings Theologie unter "Ideologieverdacht" gestellt werde, könnte die Konzentration auf die Rechtfertigung "für extrem einseitig" gehalten werden, entgegnete der Theologe den Kritikern. Hinter der Kritik steckt Gundlach zufolge auch ein "Streit um die Deutungshoheit", ob und wie die Geschichtswissenschaft die Gestaltung des Reformationsjubiläums 2017 bestimmen könne. Jubiläen seien immer auch Selbstdeutungen einer Generation im Spiegel der Vergangenheit, "nicht gegen die Historie, aber auch nicht nur Historie". Die Deutung der Reformation solle keineswegs allein den Theologen überlassen werden, "aber um Gottes willen auch nicht allein den Historikern", empfahl Gundlach.