Schon seit einigen Tagen ist er nun in Kopenhagen, wo der Eurovision Song Contest (ESC) dieses Jahr stattfindet. Ihm, einem Schüleraustausch und einem "Anderen Dienst im Ausland" (ADiA) bei der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland ist es zu verdanken, dass Jöran heute selbst in dem nordosteuropäischen Land lebt und es nun sogar offiziell vertritt.
###mehr-artikel###
Als im Jahr 2000 alle beim ESC mit Stefan Raab fragten "Wadde hadde dudde da?", schaltete auch Jöran ein. Die Olsen Brothers aus Dänemark gewannen, aber dem jungen Bochumer gefiel ein anderes Lied so gut, dass er sich die CD besorgte: "My Star" der lettischen Band "Brainstorm". Einige Jahre später verschlägt es den BVB-Fan selbst nach Lettland. Bei einem Austausch-Projekt seiner Schule ist kein Platz in einem seiner Wunschländer mehr frei, aber in Lettland. Er fährt hin. Von der Fußball-Europameisterschaft 2004 war ihm noch der lettische Stürmer M?ris Verpakovskis im Gedächtnis, der die deutsche Abwehr unter Druck gesetzt hatte. Musik und Fußball, und immer wieder Lettland.
Die Kirche war sein "zweites Wohnzimmer"
"Was Musik angeht, bin ich wie ein Schwamm", erzählt Jöran. Sie hat für ihn schon immer eine Rolle gespielt. "Wenn du im kirchlichen Kontext aufwächst, ist irgendwie immer eine Gitarre dabei." Als sein Vater noch Pfarrer der Bochumer Matthäus-Gemeinde war, sei dir Kirche sein "zweites Wohnzimmer gewesen". "Ich messe meine Religiosität aber nicht daran, wie oft ich in die Kirche gehe. Jeder hat seinen eigenen spirituellen Zugang."
###mehr-links###
Wegen der Freundin, die er während des Schüleraustausches kennenlernt, beschließt Jöran, nach dem Abitur seinen Zivildienst in ihrem Land zu machen: Er entscheidet sich für einen "Anderen Dienst im Ausland" bei der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland. Doch die junge Frau reist kurz zuvor noch in ein christliches Camp nach Wisconsin. Dort entdeckt sie laut Jöran eine andere Spiritualität, stellt ihre Beziehung infrage und trennt sich von ihm – kurz nachdem er in Riga angekommen ist. Er will im ersten Moment mit dem Pfarrer besprechen, wie er sofort wieder nach Deutschland zurückfahren kann. "Doch er war nicht zu Hause", erinnert sich Jöran. Auch wenn es zunächst eine schwierige Situation gewesen sei, sei im Nachhinein alles genau so richtig gewesen. "Es war gut für mich, mich alleine durchzukämpfen. Da wächst man dran."
Während des einjährigen Auslanddienstes unterstützt er die Gemeindearbeit, er übersetzt während des Kindergottesdienstes, kümmert sich um den Gemeindebrief, organisiert eine Jugendfreizeit und begleitet die Gottesdienste musikalisch - sogar auf der Orgel. Zu seinen Aufgaben gehört aber auch die Arbeit im Diakonie-Zentrum für Straßenkinder, hier spielt und lernt er mit sechs- bis 16-Jährigen. Zum Abschluss seines Aufenthalts will er etwas Besonderes machen. "Was liegt näher als sich für den ESC zu bewerben", sagt Jöran mit einem Lachen. Mit der Hymne an die EU "More Than 27" kommen er und Sängerin Axlina 2008 in die nationale Endausscheidung, aber nicht weiter.
Youtube machte ihn bekannt
Bekannt wird der 27-Jährige 2013 mit einem Abschiedssong. Im vergangenen Sommer steht er kurz vor seinem Bachelorabschluss in "Integrierten Europastudien" an der Uni Bremen. "Ich brauchte eine positive Perspektive, was ich danach machen könnte." Jöran fängt er wieder an lettische Lieder zu schreiben. Seine Mutter bringt ihn auf die Idee, über den Lats zu singen, den die Letten ab 2014 für den Euro aufgaben. "Mach doch ein Abschiedslied", habe sie ihm geraten.
Jöran schreibt "Paldies Lati?am" (Danke, kleiner Lats) und singt den Song mit einem englischen Freund. Auf Youtube wird das Video zum Hit. "Der Lats war ein Stück Identität, ein Zeichen der Unabhängigkeit", erklärt Jöran, warum den Letten seinen Song so gefällt. Er hilft ihnen trauern - zu einer fröhlichen Melodie. Als sich immer mehr Medien bei ihm melden, entscheidet Jöran: "So, jetzt fahre ich nach Lettland." In Bars in Riga habe er seine jetzige Band zusammengesucht. Er nimmt am dortigen perfekten Promi-Dinner teil – gewinnt einen Staubsauger, am Nationalfeiertag wir sein Clip direkt nach der Rede des Präsidenten ausgestrahlt
Hilfe annehmen und einfordern
Zwei Tage später endet die Frist für die Bewerbung für die ESC-Teilnahme. In kürzester Zeit komponiert Gitarrist und Pianist Guntis Veilands den Folksong "Cake To Bake". Er hat die Pläne für die Chinesische Mauer entworfen, nebenbei Atlantis entdeckt und spricht mit Einhörnern singt Jöran darin. Eines aber hat er noch nie gemacht, gesteht er ein, und hat auch keine Ahnung, wie das gehen soll: einen Kuchen backen. Doch genau das soll er heute tun. Er empfiehlt, es einfach mal auszuprobieren und sich nicht davor zu scheuen, seine Mutter um Rat zu fragen. Natürlich kann Kuchenbacken auch für alles andere stehen, es geht ums Hilfe annehmen und einfordern. Es muss zwischen den Zeilen gelesen und gehört werden. "Ich möchte grundsätzlich, dass Menschen lernen genauer hinzugucken, sich mehr Zeit zu nehmen", sagt Jöran.
Mit seinem Einzug ins ESC-Halbfinale habe er nicht gerechnet. 97 Stimmen Vorsprung habe "Aarzemnieki" am Ende gehabt. "Es kam auf jeden einzelnen an, mit dem ich gesprochen hatte", glaubt Jöran. Am 6. Mai trifft er nun auf Musiker aus 15 anderen Ländern wie Schweden, Russland und Belgien. Nur zehn Teilnehmer des ersten Halbfinales singen noch einmal im Finale am 10. Mai. Für Deutschland tritt dann die Band "Elaiza" an. Jöran gefällt der Beitrag, weil das Trio mit echten Instrumenten spielt. "Ich mag das Akkordeon."
Er selbst musste, um mitmachen zu dürfen, obwohl er EU-Bürger ist, eine Aufenthaltsgenehmigung für Lettland beantragen. Was fasziniert ihn an seiner Wahlheimat? "In Riga passiert unheimlich viel." Vielleicht auch weil das Land lange okkupiert war, gebe es gerade viel Bewegung. Das gefällt dem 27-Jährigen. Lettisch spricht er fließend – was oft für Verwirrung sorgt: "Viele bekommen es nicht in den Kopf, dass jemand, der nichts mit Lettland zu tun hat, so gut Lettisch spricht." Ob er denn wirklich kein Lette sei, werde er häufig gefragt. Dabei deutet das selbst der Name seiner Band an: "Aarzemnieki" heißt übersetzt Ausländer.
Dem Sänger der Band "Brainstorm", die ihn als Teenager beim Grand Prix begeisterte, ist Jöran mal zufällig in Barcelona auf der Straße begegnet. Ihn jetzt durch seine eigene Prominenz wiederzutreffen, wäre ihm gar nicht so recht. "Ich will ihn gar nicht als Freund haben. Ich will ihn als Idol behalten." Er selbst sei für seine Musik eher "Mittel zum Zweck". "Ich bin nicht das Wichtigste." Nach diesem Dienstag werden aber noch deutlich mehr Menschen in Europa sein Gesicht kennen.