Die Juristin Susanne Moritz kommt darin zu dem Ergebnis, Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht seien erfolgversprechend, weil der vom Staat verursachte Pflegenotstand die Menschenwürde von Heimbewohnern systematisch verletzt. Der Gang nach Karlsruhe sei "das einzig erfolgversprechende Vorgehen gegen die Missstände in den Einrichtungen", sagte sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
###mehr-artikel###
Ihrer Analyse zufolge steht jedoch nicht nur heute schon vernachlässigten Heiminsassen der Weg zu den Gerichten offen. Auch alle künftig möglicherweise Pflegebedürftigen könnten Verfassungsbeschwerde erheben. Nach Ansicht der Rechtswissenschaftlerin versagt der Gesetzgeber. Er verletze die Grundrechte der Pflegebedürftigen, weil er es unterlasse, "einen Mindeststandard an menschenwürdiger Pflege sicherzustellen".
Moritz hält den Weg nach Karlsruhe für unausweichlich, weil "keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen werden, um die Pflege zu verbessern" - obwohl den staatlichen Organen etwa Zeitdruck, Personalmangel und geringe Vergütung der Heime seit Jahren bekannt seien.
Baldige Besserung ist laut Moritz nicht in Sicht. Zwar sehe der Koalitionsvertrag von Union und SPD vor, den Pflegebeitrag in zwei Stufen zu erhöhen und damit mehr Geld ins System zu pumpen, doch um die vielfältigen Ursachen des Pflegenotstandes zu beseitigen, sei eine Vielzahl von Schritten notwendig. Sie nannte etwa einen verbindlichen Personalschlüssel für die Heime sowie eine wirksame Kontrolle der Pflegequalität in den Einrichtungen.
Klagen, bevor man ins Heim muss
Die Forscherin vertritt die These, der Klageweg vor das höchste deutsche Gericht stehe bereits offen, bevor jemand als Pflegebedürftiger in ein Heim muss. Zu diesem Schluss kommt Moritz, weil viele Pflegebedürftige "aufgrund ihrer Hilflosigkeit und Abhängigkeit von der Einrichtung meist gar nicht selbst Rechtsschutz suchen können".
Zudem habe Karlsruhe in Urteilen mehrfach anerkannt, dass dem Gesetzgeber Schutzpflichten aus den Grundrechten erwachsen und bereits konkretisiert, "wo das Minimum menschenwürdiger Existenz verläuft", wie zum Beispiel bei den Entscheidungen zum Asylbewerberleistungsgesetz und zu den Hartz-IV-Gesetzen: "So betrachtet, wäre ein Verfahren zum Pflegenotstand alles andere als ein Novum."
Susanne Moritz studierte Jura mit dem Schwerpunkt Gesundheits- und Medizinrecht an den Universitäten Regensburg und Oslo. Von 2011 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Regensburg.
Die Forschungsarbeit ist unter dem Titel "Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen" im Nomos-Verlag (Baden-Baden 2013) erschienen. Susanne Moritz wird am 18. Januar in Dresden für ihre Dissertation als eine von zwei Preisträgern mit dem 18. Wissenschaftspreis der Gesellschaft für Recht und Politik ausgezeichnet.