Vor fast 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, verbreitete Martin Luther seine 95 Thesen gegen die Missstände der spätmittelalterlichen Kirche. Evangelische Christen haben am Donnerstag daher den Reformationstag gefeiert.
In Augsburg wurde am Abend das neue Themenjahr der Lutherdekade bundesweit eröffnet, mit dem die evangelische Kirche, Bund, Länder und Kommunen auf das Reformationsjubiläum 2017 vorbereiten. Es steht 2014 unter dem Motto "Reformation und Politik". Die Festrede hielt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier.
In Heidelberg ehrte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) den ehemaligen polnischen Ministerpräsident Jerzy Buzek mit der Martin-Luther-Medaille. In seinem politischen Leben habe sich Buzek von der Überzeugung leiten lassen, dass Christen auch zur Verantwortung für politische Strukturen gerufen seien, sagte der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) würdigte Buzek als "Baumeister des neuen Europa".
Bundesweite Aufforderung, Flüchtlingen überall zu helfen
Reformationsbotschafterin Margot Käßmann appellierte an die Bundesregierung, bei Flüchtlingsdramen wie auf Lampedusa künftig aktiv zu helfen. "Wir sollten verlangen, dass deutsche Schiffe zur Seenothilfe in den Süden geschickt werden - die Marine ist bestens geeignet für so einen humanitären Einsatz", forderten Käßmann und die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler in einer Predigt in Augsburg.
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Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik plädierten die evangelischen Theologinnen laut Redetext dafür, die Flüchtlinge "nicht bequem auf andere Länder" zu verweisen: "Wir sollten sie selber gerne in unserem Land aufnehmen - und zugleich vehement für bessere Lebensbedingungen in ihrem Land einstehen." Fischer und zivile Kapitäne, die Menschen aus den Fluten retteten, sollten "für ihre Hilfe nicht bürokratische Probleme, sondern Orden kriegen".
Auch der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung rief dazu auf, sich stärker für Flüchtlinge einzusetzen. "Es ist für mich unerträglich, wenn wir uns in Europa auf unsere jüdisch-christliche Werteorientierung berufen und gleichzeitig Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken", sagte er in Wiesbaden bei der zentralen Reformationsfeier der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Die Bibel fordere dazu auf, Menschen mit Barmherzigkeit und Liebe zu begegnen, das gelte in besonderer Weise für Schwache und Schutzbedürftige.
Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad ermunterte dazu, sich für die Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit einzusetzen. "Der christliche Glaube schenkt eine innere Freiheit und Unabhängigkeit, den nahen und fernen Nächsten in Liebe beizustehen", sagte er in Neustadt. Das Reformationsfest sei "die große Einladung an alle, die sich anstecken lassen von der Freiheitsbotschaft des Evangeliums". Christliche Freiheit sei keine Ellenbogenfreiheit, sondern fordere Einsatz für andere.
"Lobbyisten für Flüchtlinge" werden
Berlins Bischof Markus Dröge warb für mehr Toleranz in der Gesellschaft. In einem Festgottesdienst in Berlin-Kreuzberg sagte er, Toleranz weite den Blick über die eigenen Verhältnisse hinaus: "Denn Toleranz bewährt sich gerade an denen, denen ich zunächst skeptisch und abwehrend gegenüber stehe. Als Beispiele gelebter Toleranz nannte Dröge den Einsatz gegen Rechtsextremismus, Willkommensfeste für Flüchtlinge oder die Aufnahme Asylsuchender.
Der rheinische Präses Manfred Rekowski empfahl Christen, sich zu "Lobbyisten" für Flüchtlinge zu machen. Wer "auch nur einen Funken vom Evangelium verstanden" habe, dürfe sich angesichts von über 45 Millionen Flüchtlingen weltweit nicht "abschotten in der Festung Europa", sagte Rekowski in Wuppertal. Er kritisierte indirekt, dass die Politik in Berlin und Brüssel nicht ernsthaft über die Beseitigung der Fluchtursachen spreche. Hier sei es Aufgabe der Christen, Partei zu ergreifen "für die Schwachen, die Abgeschriebenen und die Abgeschobenen".
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sprach sich dafür aus, Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen. Viele Menschen seien unterwegs, kämen aber nie in einer neuen Heimat an: "Keiner will sie", sagte der evangelische Theologe in der hannoverschen Marktkirche. Stattdessen würden Kosten- und Nutzenrechnungen öffentlich verhandelt. Die Anforderungen für eine Integration würden immer höher geschraubt. Dabei sollte es selbstverständlich sein, "Flüchtlingen, Verzweifelten, Abgerissenen und Vertriebenen" eine neue Heimat zu bieten.