Ein Jahr nach der Aufdeckung von Organspende-Betrugsfällen hat am Montag der Prozess gegen einen Göttinger Arzt begonnen. Vor dem dortigen Landgericht muss sich der frühere Leiter der Transplantationschirurgie des Göttinger Universitätsklinikums wegen versuchten Totschlags in elf Fällen sowie wegen Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen verantworten (AZ 6 Ks 4/13).
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Er soll unter anderem Labordaten manipuliert haben, um eigenen Patienten schneller eine Spenderleber zu beschaffen. Andere könnten dadurch gestorben sein. Die Verteidigung wies die Vorwürfe zurück.Laut Anklageschrift soll sich der Arzt in fünf der zur Verhandlung stehenden Fälle über die Richtlinie der Bundesärztekammer hinweggesetzt haben, Alkoholiker vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenzzeit zu transplantieren. Zudem soll er in drei weiteren Fällen Lebern transplantiert haben, obwohl die Patienten noch nicht so krank waren, dass dies erforderlich gewesen wäre. Alle Patienten starben infolge der Operationen.
Verteidiger Steffen Stern argumentierte zum Prozess-Auftakt, sein Mandant habe sich nicht strafbar gemacht. Selbst wenn gegenüber der zentralen Organverteil-Stelle "Eurotransplant" unzutreffende Angaben über einzelne Patienten erfolgt seien, sei "dies kein Fall für den Strafrichter, weil es bislang keine Strafvorschrift gab". Erst jetzt habe der Gesetzgeber einen einschlägigen Straftatbestand geschaffen. Der Bundestag hatte das Gesetz, wonach Ärzten bei solch einem Betrug künftig bis zu zwei jahre Freiheitsstrafe drohen, kurz vor der Sommerpause verabschiedet.
Die Richtlinien der Bundesärztekammer selbst sähen vor, dass Verstöße als bloße Ordnungswidrigkeiten zu behandeln seien, sagte Stern. In keinem Fall habe sein Mandant die Richtlinien bewusst missachtet. Im Übrigen tue ein Arzt, der Menschenleben retten müsse, gut daran, "nicht nur auf die Richtlinien zu starren".
Stern: Alkohol-Abstinzenz-Richtlinie sei diskriminierend
Die Alkohol-Abstinzenz-Richtlinie der Ärztekammer bezeichnete Stern als diskriminierend. Sie verdamme alkoholkranke Menschen zum Sterben. Dabei sei durch internationale Untersuchungen belegt, dass diese Patienten die besten Überlebenschancen hätten, weil sie ihr Leben radikal änderten. Den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge wies die Verteidigung als "absurd" zurück. In allen drei Fällen habe bereits ein Internist die Notwendigkeit einer Leberverpflanzung gesehen.
Für den Prozess sind zunächst 42 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil wird frühestens im Frühjahr 2014 gerechnet.
Der Beginn des Verfahrens hat indes die Diskussion um mehr öffentliche Kontrolle im Transplantationswesen neu entfacht. Organspende wird in Deutschland von den Selbstverwaltungsorganen des Gesundheitswesens und privaten Akteuren organisiert. Patientenschutz-Stiftung und Grüne verlangen mehr staatliche Kontrolle, der prominente Transplantationsmediziner Eckhard Nagel und CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sprachen sich am Montag dagegen aus.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hofft, dass die Aufarbeitung des Betrugsfalls neues Vertrauen in die Organspende weckt. Mit Verweis unter anderem auf die Strafverschärfung bei Betrug sagte Bahr am Montag in Berlin, heute könnten die Bürger guten Gewissens aufgefordert werden, "sich bei der Organspende zu entscheiden und sich auch für die Organspende auszusprechen." Infolge der Betrugsskandale war die Bereitschaft der Deutschen, ein Organ zu spenden, rapide gesunken. Hierzulande warten rund 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan.