Einen Kaffee holen. In alten Akten blättern. Zur Toilette gehen. Im Flur umherlaufen, scheinbar auf dem Weg von einem Meeting ins nächste. Ein Dokument am PC öffnen, das eigentlich schon lange bearbeitet ist. Und dazwischen ständig der Blick auf die Uhr. Langeweile im Job kann quälend sein.
Auch Nichtstun kann erschöpfen
Zu Psychotherapeut Wolfgang Merkle kommen immer wieder Menschen, die auf der Arbeit nur die Zeit totschlagen. Die sich ausgebrannt und erschöpft fühlen, obwohl sie eigentlich heillos unterfordert sind. Bore-out nennt man dieses Phänomen. Auf die Dauer, sagt Merkle, könne Unterforderung genauso krank machen wie Überforderung.
###mehr-artikel###Den Begriff Bore-out (von englisch: "Boredom", Langeweile) erfanden 2007 zwei Schweizer Unternehmensberater in Anlehnung an das Burn-out-Syndrom - Ausgebranntsein durch zu viel Arbeit. Dass auch Nichtstun erschöpfen kann, klingt paradox. Doch in einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) im Jahr 2009 nannten 15 Prozent der Befragten Unterforderung als Stress-Faktor.
"Es ist immer eine Mischung zwischen Anspannung und Entspannung, die Gesundheit ausmacht", sagt Merkle, der Chefarzt der Psychosomatischen Klinik am Frankfurter Hospital zum Heiligen Geist ist. Bore-out sei keine Krankheit, betont er: "Bore-out ist ein Hinweis auf dauerhafte Unterforderung, die krank machen kann." Denn Unterforderung erzeugt Stress, schließlich wollen die meisten im Beruf ja etwas leisten. Das kann etwa zu Kopf- und Magenschmerzen, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen oder sogar Depressionen führen.
Ihre Langeweile versuchen die Betroffenen meist zu verstecken, selbst vor Freunden, sagt TK-Sprecherin Michaela Hombrecher. Auch das sorge für Stress. "Das ist ja auch eine Frage von Sozialprestige", glaubt die Soziologin. "Nur wer eine sinnhafte Aufgabe hat, ist etwas wert."
Aufgaben weggefallen, Posten doppelt besetzt
Merkle schätzt, dass etwa fünf Prozent seiner Patienten unter starken psychischen Problemen infolge eines Bore-outs leiden, darunter Arbeitnehmer, aber auch Rentner und Arbeitslose. Viele Betroffene arbeiten nach seiner Erfahrung in Unternehmen, in denen durch Rationalisierungen Aufgaben weggefallen oder durch Firmenfusionen doppelt besetzt sind. Andere sind für ihren Job eigentlich überqualifiziert.
Nach dem Stressreport 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fühlen sich fünf Prozent der Beschäftigten mengenmäßig und 13 Prozent fachlich unterfordert. Zum Vergleich: Unter fachlicher Überforderung litten vier Prozent der Befragten, 19 Prozent klagten über quantitative Überforderung.
Telefonate und Meetings ohne Ergebnis
Ulrich Kern weiß, dass man auch dann unterfordert sein kann, wenn der Arbeitstag prall gefüllt ist. Der 49-Jährige wechselte vor zehn Jahren von der Modebranche in die Unternehmensberatung. "Ich habe oft ganze Tage mit endlosen Telefonaten und Meetings verbracht, die zu keinem Ergebnis kamen." Kern fühlte sich immer erschöpfter und dachte: Das könnte ein Burn-out sein. Für Hobbys fehlte ihm die Energie, von Freunden zog er sich zurück.
###mehr-links###Erst nach Jahren begriff Kern, was das Problem war. "Ich war qualitativ völlig unterfordert." Zwar sei ihm in fruchtlosen Kundengesprächen immer wieder der Gedanke gekommen, dass etwas falsch laufe, sagt er. "Aber das Problem lag in Verhaltensweisen, die ich schon in meiner Kindheit und Jugend antrainiert hatte." In einem Coaching arbeitete Kern die Gründe für sein Bore-out auf und machte später selbst eine Coaching-Ausbildung. "Man muss an die Wurzel des Problems ran", glaubt Kern. Und sich fragen: Warum bin ich eigentlich unterfordert? Welcher Job würde mir Spaß machen?
Auch Psychotherapeut Merkle versucht, in seinen Therapien mit Patienten praktische Lösungen zu erarbeiten. Kann ich mich weiterbilden? Oder sollte ich die Arbeit wechseln? Viele müssten auch ihre innere Haltung ändern: "Dass man sich nicht sofort abwertet, wenn man mal nichts geleistet hat."
Vernünftige Personalpolitik gefragt
TK-Sprecherin Hombrecher sieht auch die Unternehmen in der Pflicht: "Dreh- und Angelpunkt ist eine vernünftige Personalplanung." Sie rät Menschen, die im Beruf dauerhaft unterfordert sind, sich einen privaten Ausgleich zu suchen. Das könne ein Ehrenamt sein oder Sport. Nach einem ereignislosen Tag im Büro nur noch erschöpft auf die Couch zu fallen, sei auf jeden Fall die falsche Strategie.