Freie Journalisten: Schreiben im Akkord

Foto: Svea Anais Perrine/photocase
Freie Journalisten: Schreiben im Akkord
Wer als freier Journalist für Tageszeitungen arbeitet, bekommt oft weniger als die Putzkraft. An die mit den Gewerkschaften ausgehandelten Vergütungsregeln halten sich viele Verlage nicht. Sie einzufordern, kann die Autoren leicht den Job kosten. Qualitätsjournalismus entsteht so nicht, sind Fachleute überzeugt.
05.09.2012
evangelisch.de

Tonya K. baut die "bunte Seite", sucht Meldungen, Überschriften, kürzt, wirft Nachrichten heraus, stellt neue ein. Für den achtstündigen Redaktionsdienst bekommt sie 80 unversteuerte Euro. Schreibt sie eigene Artikel für ihre Zeitung – eine mittelgroße mitten in Westfalen – erhält sie 30 Cent pro Zeile. Die meisten Texte im Blatt sind kürzer als 100 Zeilen. "Wenn ich für den Text irgendwo hinfahren muss, lohnt er sich für mich schon beinahe nicht mehr", sagt Journalistin.

Ihren Traumberuf stellt sie sich anders vor. Mit vollem Namen will sie deshalb auch nicht in einem Artikel über Arbeitsbedingungen erscheinen. Zukünftige Arbeitgeber könnten denken, es liegt an ihren Fähigkeiten, dass sie keine bessere Bezahlung bekommt. Die kann sie so gar nicht entfalten – das stört sie am meisten. "Ich muss sehen, dass ich so viel wie möglich schreibe – die Gegenseite anhören, überhaupt Leuten zuhören, Formulierungen überdenken – das ist gar nicht drin." Sonst wird es eng mit ihrem Einkommen, sagt sie.

Jahreseinkommen bei 17.000 Euro

Etwa 25.000 freie Journalisten gibt es in Deutschland, schätzen die Journalistengewerkschaften dju bei Verdi und der DJV. Tendenz: steigend. Und viele sind schlecht bezahlt. Bei der Künstlersozialkasse, die die hauptberuflichen selbstständigen Publizisten versichert, liegt ihr geschätztes Jahreseinkommen bei 17.000 Euro. Und eine DJV-Umfrage aus 2008 zeigt: Etwa 40 Prozent der Befragten verdienen weniger als 1.000 Euro im Monat. Der Durchschnittsverdienst lag bei 2.150 Euro –  bei Arbeitszeiten um die 50 Stunden pro Woche.

"Bei Tageszeitungen werden Freien wahre Hungerlöhne angeboten", sagt Benno Stieber, Vorsitzender des Berufsverbandes Freischreiber, in dem etwa 500 freie Journalisten vernetzt sind. "Und sie sind diejenigen, die einen großen Teil der Inhalte produzieren." Unter anhaltend schlechten Bedingungen, wie Stieber kritisiert. Denn vor zwei Jahren einigten sich Gewerkschaften und Verleger auf verbindliche Vergütungsregeln. "Auch die 2010 verhandelten Zeilensätze sind viel zu niedrig", sagt Stieber, der selbst als Freier für überregionale Wirtschaftszeitungen und Zeitschriften arbeitet. "Eine gerechte Bezahlung ist eine Bezahlung nach Arbeitszeit."

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Urlaub oder Ausfälle durch Krankheit, das Arbeitszimmer, die Telefonrechnung – oft auch die Spesen bei der Recherche: "All das zahlen Journalisten von ihrem Honorar", sagt Stieber. "Wenn man dann 40 Euro für einen Text kriegt, kann man davon definitiv nicht leben." Zeitungen als Lebensunterhalt scheiden damit eigentlich aus: Zwischen 30 und 90 Cent pro Zeile, melden die Freischreiber-Mitglieder. "Dafür muss man mehrere Texte am Tag schreiben", sagt Stieber. Vor allem im Kultur- und Sportteilen der Regionalzeitungen werde dann quasi im Akkord gearbeitet. „Und dann kommt es schon vor, dass der Trainer die Spielberichte tippt und sie eins zu eins im Blatt landen.“

"Qualitätsjournalismus entsteht so nicht", weiß auch dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. "Es wird immer geklagt, dass der Einfluss der PR auf den Journalismus zunimmt. Eine Ursache dafür sind auch die Arbeitsbedingungen." Ist ein Artikel dem Verlag kaum etwas wert, steigt die Versuchung, den Text der Pressemitteilung zu übernehmen – es spart eben Zeit für mehr Artikel. Viele Zeitungs-Freie suchten sich zusätzlich Jobs in der Öffentlichkeitsarbeit, sagt Gewerkschafterin Haß. "Für die journalistischen Inhalte ist das ein Risiko."

Verlage halten sich nicht an Regeln

Ein erster Schritt zur Besserung sollten die verbindlichen Vergütungsregeln für Tageszeitungen sein, betont die Gewerkschafterin. "Das Ende des Liedes soll das nicht sein." Nur: Oft ist nicht einmal dieser Anfang selbstverständlich. Die wenigsten Verlage halten sich an die Vergütungsregeln, zeigt die Landkarte auf der gemeinsamen Webseite der beiden Journalistengewerkschaften, deren rote Punkte für die Nichteinhaltung der Vereinbarung steht. Und auch auf der Seite journalismus.com geben freie Schreiber deutlich niedrigere Zeilensätze an, als es die Vergütungsregeln vorsehen – obwohl auch die nicht hoch sind: je nach Auflage zwischen 47 und 103 Cent pro Zeile für den Erstabdruck eines Berichtes, zum Beispiel.

Protest dagegen ist selten. "Wir unterstützen es natürlich, wenn ein Journalist die Einhaltung einfordert", sagt Cornelia Haß. "Sie sind auch einklagbar, nur ist der Klagende danach ziemlich sicher seinen Job los." In manchen Fällen ist den Autoren das egal, weil sie sowieso nicht auf das Medium angewiesen sind. "Der Rauswurf tut mir persönlich nicht weh", schrieb der freie Journalist Daniel Drepper über seinen Versuch, im Sportteil des "Ahlener Tageblattes" nach den Vergütungsregeln bezahlt zu werden. Weil er DJV und Freischreiber einschaltete, bekam er am Ende 23,84 Euro mehr, zusammen mit der Mitteilung: "Die Summe ist für die Abrechnung Dezember angewiesen, die Zusammenarbeit mit der Glocke damit dann beendet."

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Mit einer besseren Vernetzung der Freien untereinander könnten solche Risiken abgefedert werden. "Wenn jemand, der im Betrieb ausscheidet, die Bezahlung einfordert, müssen andere ihren Job nicht aufs Spiel setzen", sagt Verdi-Gewerkschafterin Haß. "Und auch die Betriebsräte der Angestellten können sich für Freie einsetzen, indem sie die Arbeitsbedingungen grundsätzlich ansprechen." Die Gewerkschaften versuchten diese Art Druck zu fördern, sagt Haß. "Aber es ist ein langer Weg."

Vernetzung der Einzelkämpfer

Auch Benno Stieber von den Freischreibern sieht die Vernetzung der berufsbedingten Einzelkämpfer als Möglichkeit – sie ist die Idee hinter der Gründung der Freischreiber, die sich vor vier Jahren zusammenschlossen, um eine Lobby für bessere Honorare zu formen. 500 Mitglieder hat der Verband inzwischen – alle freie Journalisten. "Wenn immer weniger bereit sind, für zu wenig Geld zu arbeiten, müssen die Verlage umdenken", sagt Stieber. Die Gewerkschaften bauen aber aus seiner Sicht zu wenig Druck auf – auch, weil Feste und Freie zusammen organisiert seien, aber unterschiedliche Interessen verfolgten.

Cornelia Haß setzt vor allem auf ein Verbandsklagerecht, mit dem die Gewerkschaften für das Zeilengeld der Freien klagen können – ohne, dass sie selbst gegen ihre Chefs vorgehen müssen. "Das würde ihre Position grundlegend verändern." Absehbar ist es noch nicht. "Gegen Buy-Out-Verträge, bei denen Autoren ihre kompletten Urheberrechte abtreten müssen, können wir rechtlich vorgehen, wenn wir die Verträge vorliegen haben. Bei der Vergütung nicht."

Die Vorteile der Freiheit

Tonya K. wird nicht klagen. Sie hat im letzten Monat einige Beiträge für andere Printmagazine untergebracht und will ihre Mitarbeit für die Zeitung nach und nach einschränken. "Es hat schon ein neuer Kollege angefangen, ein Student, der für das gleiche Geld arbeitet. Es wird sich dort wohl nie ändern."

Tatsächlich drängen weiter viele in den Beruf – auch ohne Aussicht auf Festanstellung. "Es hat ja auch Vorteile, frei zu arbeiten", sagt Benno Stieber. "Es wird auch nicht überall schlecht gezahlt: Im Magazinbereich können Freie zwar auch nicht viel, aber deutlich besser verdienen. Man ist unabhängig, kann seine Arbeit selbst bestimmt einteilen." Sein Tipp für alle freien Kollegen: Honorare immer auf den Stundensatz herunterrechnen, um im Blick zu behalten, ob es den Aufwand wert ist. Wenn nicht, sollte man überlegen, ob der Arbeitgeber der Richtige ist. "Man sollte nicht zu sehr von einzelnen Kunden abhängig machen", sagt der freie Journalist. Das hat sich auch Tonya K. vorgenommen. "Ich versuche es noch mal mit meinem Traumberuf."