Der neunjährige Patrick Hadad ist mit Begeisterung dabei. Immer wieder hebt er die Hand und beteiligt sich am Unterricht. Seit vier Jahren lernt Patrick Aramäisch. Zusammen mit seinen Mitschülern sagt er stolz das Vaterunser auf. Gemeinsam singen sie Lieder auf Aramäisch und buchstabieren das Alphabet. Vor rund fünf Jahren setzten sich die Bewohner von Jish zum Ziel, die Sprache Jesu Christi wiederaufleben zu lassen.
Ganz im Norden Israels, nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt, liegt das arabische Dorf, das auf Hebräisch Gusch Chalav heißt. Es sei das letzte Dorf in Galiläa gewesen, das die römischen Truppen einst besetzten, schrieb der Historiker Flavius Josephus im 1. Jahrhundert nach Christus. Gut 3.000 Seelen beherbergt der kleine Ort heute. Zur Mehrheit leben maronitische und griechisch-orthodoxe Christen in Jish, Seite an Seite mit einer muslimischen Minderheit.
"Das ist die Sprache unserer Vorfahren"
Patrick gehört väterlicherseits zu den Maroniten, einer Glaubensgemeinschaft, die sich im 7. Jahrhundert von der syrisch-orthodoxen Kirche abgespalten hat. Seine Mutter ist deutsche Christin. Als Patrick in die Schule kam, entschied er sich für den Aramäisch-Unterricht. "Das ist die Sprache unserer Vorfahren", sagt der blonde Junge überzeugt. Auch seine Schwestern lernen Aramäisch. Der Unterricht ist freiwillig, es gibt keine Prüfungen. Wer sich nicht für die alte Sprache interessiert, kann stattdessen zur Kunststunde. Trotz dieser Alternative entscheiden sich die meisten für Aramäisch.
Angefangen hatte alles in der Kirche, wo der Priester mehrere interessierte Erwachsene unterrichtete. "Wir hören die Sprache in der Kirche, seit wir Kinder sind, aber wir haben sie nicht verstanden", sagt Shadi Khalloul, einer der ersten Schüler des Priesters. Die Maroniten beten auf Aramäisch. Drei Monate lang paukten die 15 Erwachsenen Vokabeln und Grammatik, "den Rest suchten wir uns autodidaktisch und mit Hilfe anderer aramäischer Gemeinden in der Welt zusammen". Später schrieben sich auch Kinder und Jugendliche für den Aramäischunterricht ein, bis die Sprache zum Schulfach wurde.
"Ohne das Alte zu bewahren, können wir nichts Neues schaffen"
Rund eine Million Maroniten, schätzt Khalloul, sprechen heute Aramäisch. "In Syrien gibt es noch alte Leute, für die es Muttersprache ist." Den Dialekt, den Jesus sprach, finde man indes nur in Galiläa. "Der galiläische Dialekt ist schon unterschiedlich vom judäischen", sagt Khalloul, der mit seinem knapp dreijährigen Sohn ausschließlich Aramäisch spricht. "Unser Erbe zu lehren, wird uns stärken", sagt er. "Wenigstens hier, im Nahen Osten sollten wir uns alle an unsere Vorväter erinnern, und die waren Aramäer."
Wie Elieser Ben-Jehuda sich Ende des 19. Jahrhunderts dem Wiederbeleben der hebräischen Sprache widmete, will Khalloul die aramäische Sprache wieder zum Leben erwecken. Als Vorsitzender einer aramäisch-christlichen Initiative ist er die treibende Kraft hinter dem Projekt. Bei der Grundschuldirektorin Reem Khatieb-Zuabi stieß er auf offene Türen. Die Muslimin spricht zwar die Sprache nicht, sie hegt aber tiefen Respekt für Tradition und Kultur. "Ohne das Alte zu bewahren, können wir nichts Neues schaffen", sagt sie.
Sogar einige Muslime lernen Aramäisch
Khatieb-Zuabi scheint jedes einzelne der 400 Kinder mit Namen zu kennen. "Zum ersten Mal sagten die Zwölfjährigen in diesem Jahr zu ihrer Kommunion das Vaterunser auf und konnten die Worte verstehen", sagt sie. Ziel sei nun, den Unterricht bis zum Abitur fortzusetzen. Im Moment wird Aramäisch nur bis zu vierten Klasse unterrichtet.
Das Erziehungsministerium unterstützt das Projekt. Die Nachfrage sei enorm. "Alle christlichen Schüler nehmen den Unterricht wahr, und sogar einige Muslime lernen Aramäisch", sagt Khatieb-Zuabi, obwohl sie glaubt, "dass es nie eine Sprache für den Alltag werden wird". Anders sieht das Khalloul: Man solle, so schwärmt er, sich nur einmal vorstellen, "die ganze Nation spreche Aramäisch".