Beschneidungsstreit: Jüdisches Leben "grundsätzlich unerwünscht"?

Foto: epd-bild/Herby Sachs
Beschneidungszeremonie in der Kölner Synagogen-Gemeinde. Nach den Bestimmungen des jüdischen Religionsgesetzes wird ein Junge durch die Beschneidung in den Bund Gottes mit Abraham aufgenommen.
Beschneidungsstreit: Jüdisches Leben "grundsätzlich unerwünscht"?
Das Urteil der Kölner Richter, die religiöse Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung zu werten, hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Nicht nur Religionsverbände reagieren mit scharfer Kritik. Auch der Ruf nach politischen Klärung wird laut.

Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet. Die Richter argumentierten, die religiöse Beschneidung sei ein dauerhafter und irreparabler Eingriff für das Kind. Die Beschneidung gelte auch bei Zustimmung der Eltern als Körperverletzung. Der angeklagte Arzt wurde freigesprochen, er habe aus einem "unvermeidbaren Verbotsirrtum" heraus gehandelt, befand das Gericht. Jüdische und islamische Verbände kritisierten die Entscheidung am Mittwoch als unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit und forderten den Bundestag auf, für Rechtssicherheit zu sorgen. Auch die beiden großen Kirchen sehen das Urteil kritisch.

Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, sagte, das Landgericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerechts mit dem Recht der körperlichen Unversehrtheit angemessen abzuwägen. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur, denn es sei auf jeden Fall nötig, dass es in dieser Frage Rechtssicherheit gebe. Anke: "Die Beschneidung hat für Juden und Muslime eine zentrale religiöse Bedeutung. Dieses berücksichtigt das Urteil nicht hinreichend."

"Einen sicheren rechtlichen Rahmen schaffen"

Auch aus der katholischen Kirche gibt es Kritik. Bischof Heinrich Mussinghoff nannte die Entscheidung "äußerst befremdlich". Mit Hinweis auf die durch das Urteil entstandene Unruhe in der jüdischen und der islamischen Gemeinschaft forderte der Bischof von Aachen, dass möglichst schnell Rechtsklarheit hergestellt und die ungestörte Ausübung der Religionsfreiheit sicher gestellt werde.

Der Zentralrat der Muslime kritisierte, das Urteil stelle "einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht" dar. Dadurch werde die Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten zunehmen. Ähnlich sieht das der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland. Dessen Sprecher Ali Kizilkaya nannte die Entscheidung einen "massiven Eingriff in die Religionsfreiheit". Die dadurch entfachte Diskussion werfe die Integration der Muslime um Schritte zurück.

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Der religionspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Stefan Ruppert betonte, das Urteil schaffe mehr Rechtsunsicherheit als Rechtssicherheit. Im Interesse des Zusammenlebens könne man keine Rechtunsicherheit dulden. Die Beschneidung gehöre zum religiösen Selbstbestimmungsrecht. Das Urteil greife zu sehr in die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungsrecht ein, kritisierte der Jurist. Sein Partei-Kollege Pascal Kober betonte: "Wir müssen schnellstens einen sicheren rechtlichen Rahmen schaffen, der die Ausübung der Religionsfreiheit für Juden und Muslime sicherstellt." Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sagte, das Urteil berge große Probleme für Muslime und Juden. Vor diesem Hintergrund müsse der Gesetzgeber überlegen, ob er tätig werden müsse.

Der Staatsrechtler Hans Michael Heinig bezeichnete das Urteil als "rechtlich, kriminalpolitisch und religionspolitisch verfehlt". Gegenüber dem epd sagte er: "Welches Signal geht denn in Richtung Judentum aus, dass ausgerechnet in Deutschland nun ein strafrechtliches Beschneidungsverbot bestehen soll?" Kriminalpolitisch sei es unsinnig, ausgerechnet den Arzt zu kriminalisieren, sagte der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mit der Abdrängung der religiösen Beschneidung in die Illegalität drohe die Einschaltung von Pfuschern..

"Terre des Femmes" findet die Entscheidung richtig

Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hält ein Beschneidungsverbot für verfassungswidrig. Eine Kriminalisierung der religiös begründeten Beschneidung "bedeutet nichts anderes, als jüdisches Leben in Deutschland grundsätzlich für unerwünscht zu erklären", warnte der Dachverband der christlich-jüdischen Gesellschaften.

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Bereits am Dienstag hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Bundestag aufgefordert, Rechtssicherheit zu schaffen und die Religionsfreiheit vor Angriffen zu schützen. Das Kölner Urteil stelle einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften dar. Die Entscheidung sei ein unerhörter und unsensibler Akt, sagte Zentralrats-Präsident Dieter Graumann.

Unterdessen begrüßte die Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" die Entscheidung. Irmingard Schewe-Gerigk von "Terre des Femmes" erklärte, das Urteil zeige deutlich, dass die körperliche Unversehrtheit von Kindern nicht mit religiösen Argumenten verletzt werden dürfe.