Zivilisten leiden nach Einschätzung des scheidenden Rot-Kreuz-Präsidenten, Jakob Kellenberger, immer stärker unter bewaffneten Konflikten. Millionen unschuldiger Menschen seien in den Kriegen des vergangenen Jahres wie in Libyen oder Syrien zu Opfern geworden, sagte Kellenberger am Montag in Genf bei der Vorstellung des Jahresberichts des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz für 2011. Viele Menschen seien verletzt, gefoltert und getötet worden, viele hätten ihr Hab und Gut verloren.
Hilfsorganisationen seien mit neuen Formen von Konflikten konfrontiert, sagte Kellenberger. So seien die Aufstände und die daraus resultierenden Konflikte in Syrien und Libyen nicht vorhersehbar gewesen. In den Ländern des "Arabischen Frühlings" hätten Schnelligkeit und Ausmaß der Auseinandersetzungen die humanitären Helfer vor ernste logistische Probleme gestellt. Die Lage in Syrien wertete Kellenberger als "sehr gefährlich". Das IKRK sei die einzige internationale Hilfsorganisation, die in dem Bürgerkriegsland bedürftige Menschen mit Lebensmitteln, Wasser, Unterkünften und Medizin versorge.
Einhaltung des humanitären Völkerrechts
Zudem würden multidimensionale Konflikte wie in Somalia die Helfer in Atem halten. In Somalia sind Millionen Menschen vor dem Bürgerkrieg sowie vor Dürre und Hunger geflohen. In Somalia unterhielt das IKRK 2011 die größte Hilfsoperation, gefolgt von Afghanistan und Irak. Insgesamt half die Organisation mit Sitz in Genf im vergangenen Jahr Opfern von Konflikten und Naturkatastrophen in 80 Ländern. Etwa 6,8 Millionen Verwundete oder Kranke erhielten medizinische Hilfe. Für seine humanitären Operationen wendete das Rote Kreuz rund 861 Millionen Euro auf. Größte Geldgeber für das IKRK waren 2011 die USA, Großbritannien und die Schweiz.
IKRK-Präsident Kellenberger (67) tritt Ende Juni in den Ruhestand. Der vormalige Schweizer Spitzendiplomat übernahm die IKRK-Leitung Anfang 2000. Kellenberger hatte in seiner Amtszeit immer wieder Kriegsparteien zur strikten Einhaltung des humanitären Völkerrechts ermahnt. Zudem verteidigte er die Neutralität des Roten Kreuzes. Versuche von UN-Funktionären, das Rote Kreuz stärker in humanitäre UN-Operationen einzubinden, wies Kellenberger zurück.
Kellenbergers Nachfolger wird ein weiterer Schweizer Spitzendiplomat, Peter Maurer. Der Staatssekretär im Schweizer Außenministerium übernimmt den Chefposten des Roten Kreuzes am 1. Juli 2012.