Am Morgen des 1. Juli 1937 erscheinen zwei Männer der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) im Pfarrhaus von Berlin-Dahlem, um Niemöller (1892-1984) zu einer "kurzen Vernehmung" abzuholen. Für den Gründer des evangelischen Pfarrernotbundes, aus dem sich die oppositionelle Bekennende Kirche entwickelt hatte, war das nichts Ungewöhnliches, war er doch bereits fünfmal festgenommen und jedes Mal bald wieder freigelassen worden.
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Doch an diesem Tag vor 75 Jahren kam es anders: Nach einem Zwischenaufenthalt im Polizeipräsidium am Alexanderplatz wird er in das Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit gebracht, erhält die Häftlingsnummer 1325 und die Zelle 448, eine Einzelzelle.
Tags darauf schreibt Niemöller an seine Frau Else, er sei "zufrieden und dankbar, weil ich jetzt mich tragen lassen darf von dem, den ich gepredigt habe". Sieben Monate muss er auf die Hauptverhandlung vor dem Sondergericht beim Landgericht Berlin warten. Ihm wird vorgeworfen, in Gottesdiensten und Vorträgen Hetzreden geführt, führende Persönlichkeiten des NS-Staates verunglimpft und unwahre Behauptungen über staatliche Maßnahmen verbreitet zu haben.
Hitler tobt nach der Urteilsverkündung
Das Urteil am 2. März 1938 zu sieben Monaten Festungshaft, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt gilt, und zu 2.000 Reichsmark Geldstrafe kommt einem Freispruch gleich. "Es gibt noch Richter in Berlin", schreiben die "Basler Nachrichten". Hitler tobt, als man ihm das Urteil mitteilt. Der Pfaffe solle "sitzen, bis er schwarz wird", soll er einem Zeugen zufolge gebrüllt haben.
Statt der erwarteten Freilassung wird Niemöller als "persönlicher Gefangener des Führers" in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Im Vergleich zu unzähligen seiner Mitgefangenen, die geschunden, gefoltert oder getötet werden, genießt er einen Sonderstatus. Zwar wird er in einer Einzelzelle isoliert, aber Familienangehörige erhalten Besuchserlaubnis, zu den Mahlzeiten werden ihm die "doppelte SS-Ration" und täglich eine Zigarette zugestanden. Er darf sogar ans Sterbebett seines Vaters in Wuppertal-Elberfeld.
Freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet
Aus der Haft heraus meldet sich der U-Boot-Kommandant des Ersten Weltkriegs am 7. September 1939 freiwillig zum Kriegsdienst. Bis zum deutschen Überfall auf Polen sei er gegen den Krieg gewesen, doch nun habe er keine andere Möglichkeit gesehen, als für sein Volk den Kampf aufzunehmen, erklärt er später. Das Gesuch wird von höchster Stelle abgelehnt.
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Enttäuscht von seiner Kirche denkt Niemöller an eine Konversion zum Katholizismus. Als die brandenburgische Kirchenleitung ihm und seiner Familie mit dem Verlust der Bezüge und des Wohnrechts im Dahlemer Pfarrhaus droht, erklärt er seinen Austritt aus der evangelischen Kirche. "Wer sich über meine Konversion aufregt, der soll erst mal eine Reihe durchwachter Nächte über die Zerrissenheit der Kirche klagen und beten", schreibt er an seine Frau.
Die Gestapo, in Kenntnis von Niemöllers Briefen, will die Symbolfigur der evangelischen Opposition demontieren. Auf höchsten Befehl wird er im Juli 1941 in das KZ Dachau gebracht und dort im Sonderbau mit drei katholischen Geistlichen zusammengelegt. Doch die Gegner werden gründlich enttäuscht. Durch die Gespräche mit den katholischen Brüdern sei ihm "der Sinn zurechtgerückt worden", so der spätere hessen-nassauische Kirchenpräsident. Erst in Dachau sei ihm auch klargeworden, dass Hitler ein Verbrecher sei. Seitdem habe er für die Niederlage der Nationalsozialisten gebetet.
Durch US-Armee befreit
Am 5. April 1945 wird Niemöller mit anderen prominenten Häftlingen unter SS-Bewachung Richtung Südtirol gebracht. Sie sollen liquidiert werden. Heimlich kann der bei Hitler in Ungnade gefallene Generalstabsoffizier Bogislav von Bonin, einer der 163 Gefangenen, eine Verbindung mit dem Chef der deutschen Heeresgruppe in Italien herstellen. Eine von dem General geschickte Einheit zwingt die Bewacher zum Abzug. Am 4. Mai 1945 nehmen die Amerikaner die Häftlinge in Gewahrsam.
Nach wochenlangen Verhören durch US-amerikanische Offiziere, zuerst in Neapel, zum Schluss in Wiesbaden, setzt Niemöller mit einem Hungerstreik seine Entlassung am 19. Juni 1945 durch. Fünf Tage später, nach acht Jahren Haft, trifft er seine Frau und zwei der Kinder wieder. Drei andere Kinder wurden noch vermisst, zwei waren umgekommen. 1947 wird Martin Niemöller Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Das Amt bekleidet er bis 1964.
Vom 11. Juli bis 5. August (täglich 10 bis 20 Uhr) informiert eine Ausstellung in der Berliner Gedenkstätte "Topographie des Terrors" über den Widerstand evangelischer Christen gegen den Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Möglichkeiten es für Christen und Kirche zum Widerstand gab und wie sich die Mehrheit der Gläubigen verhielt. Die Schau basiert auf der seit November 2011 unter www.evangelischer-widerstand.de zugänglichen Internetseite.