Kinderkrankenhaus in Indien: "Das Geschenk Gottes"

Brigitte Rühland
Kinderkrankenhaus in Indien: "Das Geschenk Gottes"
Sie träumte davon, Kindern in dem Land, mit dem sie verwurzelt ist, zu helfen. Also ging die Ärztin Monika Golembiewski für einige Wochen nach Indien, in ein Dorf der Santal, der Ureinwohner des Landes. Das war vor 18 Jahren. Mittlerweile ist Indien zum zweiten Zuhause geworden. Und im Krankenhaus fehlen nur noch die Betten.
01.06.2012
evangelisch.de

Es sprudelt nur so aus ihr heraus. Sie erzählt von den Betten, die noch im neuen Krankenhaus fehlen, von dem Ernährungsprogramm, von den Kindern, die jetzt fröhlicher sind, von der Bäckerei, von dem Anbau von Heilpflanzen. Und von ihrer zukünftigen Schwiegertochter Silvia Mangatter. In ihr hat sie eine Seelenverwandte gefunden, eine, die genauso für Bolpur schwärmt. Die auch immer dann von Indien träumt, wenn sie gerade nicht da sein kann – wie die Ärztin Monika Golembiewski.

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Golembiewski ist Kinderärztin, lebt mit ihrer Familie in Flein, einem kleinen Ort in Baden-Württemberg, arbeitet in Heilbronn in einer Gemeinschaftspraxis. Ihr Herz aber hat sie längst an Indien verloren.

Schon während des Medizinstudiums träumte sie von Indien, wollte das Land ihres leiblichen Vaters kennenlernen, unbedingt dort als Ärztin arbeiten. Doch dann kam die Praxis, sie heiratete, gründete eine Familie und wusste: Jetzt geht's es nur noch, wenn mich konkret jemand fragt. Ihr Traum schlummerte weiter vor sich hin. Bis Martin Kämpchen, ein Autor und Freund, der sich schon damals in Indien in Santal-Dörfern engagierte, zu ihr sagte: "Komm doch mal". Das war 1994. Seit dem fährt sich jedes Jahr nach Indien, drei bis vier Mal für mehrere Wochen. Denn sie fühlte sofort: "Hier gehöre ich hin."

Die Ärztin wollte verstehen, wie die Menschen leben

Weil Golembiewski nicht nur punktuell helfen, sondern verstehen wollte, wie die Sental, die Ureinwohner Indiens, in den Dörfern Westbengalens leben und woher ihre medizinischen Probleme kommen, zog sie in eines der Dörfer. Sie wohnte mit den Sental in ihren Lehmhütten und verstand jeden Tag ein bisschen mehr: Die Hitze und die Kälte, die die Menschen ertragen müssen. Dass die Frauen den härtesten Job haben, weil sie nicht nur für die Familie – auch die des Mannes – zuständig sind, sondern auch noch den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten. Dass sich die Menschen im selben Teich waschen, indem auch die Tiere trinken. Dass Tier und Mensch unter einem Dach leben. Dass die Menschen sich zu einseitig ernähren, weil es nicht genug gibt.

Das Krankenhaus in Bolpur. Foto: Brigitte Rühland

Dieses Leben war ihr am Anfang fremd. "Oft war ich heillos überfordert", sagt sie. Denn sie bekam Krankheiten zu sehen, die sie zuvor nur aus dem Lehrbuch kannte. Und andere, die in Deutschland durchaus nicht mehr üblich sind – wie zum Beispiel Tuberkulose. Und nur mit Stetoskop und Blutdruckmesser bewaffnet, war sie häufig unsicher und medizinisch nicht ausreichend ausgerüstet. Aber weil sie oft der einzige Zugang für die Menschen zu medizinischer Versorgung war, "habe ich meine Ängste im Gebet mit Gott ausgemacht und weitergemacht."

Für die Ärztin war schnell klar: Sie wollte ein Krankenhaus für die Kinder bauen - also gründete sie den Verein Shining Eyes. Hilfsprojekte gibt es in Indien viele – viele der großen Organisationen sind dort vor Ort. Warum Golembiewski sich nicht an die wendete, um es leichter zu haben? "Mittlerweile gibt es auch dort in Westbenagalen Organisationen, die helfen würden." Aber damals hätten die Menschen dort Schmerzen stillschweigend ertragen müssen, weil es keine medizinische Versorgung für sie gab.
 

"Was man bezahlt, wird mehr geschätzt als das, was man geschenkt bekommt"

Mittlerweile hat sie viele Projekte angeschoben, um das Leben der Menschen in den Sental-Dörfern zu verbessern: Zum Beispiel das Ernährungsprogramm. Weil viele Kinder mangelernährt sind, gingen Golembiewski und ihre Mitarbeiter in die Dörfer und kochten gemeinsam mit den Müttern. Gleichzeitig bauten sie zusammen Gemüse – Bohnen, Spinat, Tomaten und Kürbisse – an, um die Ernährung zu ergänzen. Mittlerweile kochen die Mütter selbst für ihre Kinder und das Saatgut gibt es weiterhin von Golembiewski und ihren Kollegen. Das Ergebnis gibt ihnen Recht: "Die Kinder sind nicht mehr so teilnahmslos, können lachen und besser Lernen", sagt die Ärztin." Und die Mütter sind zufriedener, weil es ihren Kindern besser geht."

Monika Golembiewski (links) und die zukünftige Schwiegertochter Silvia Mangatter mit einem Mitarbeiter. Foto: Brigitte Rühland

Für Golembiewski und ihre Kollegen gilt der Leitsatz: Gemeinsam erlernen, begleiten, nicht alleine lassen, damit all die Ideen und Neuerungen auch langfristig etwas bringen. Nachhaltigkeit ist die Regel – und ihr Einsatz zeigt Erfolg. So war das auch mit den Enten. Zu Beginn ihrer Arbeit waren eigene Ideen und Projekte der Dorfbewohner, um ihr Leben zu verbessern, die Ausnahme. Nun aber kamen Frauen auf dem Wunsch auf Golembiewski zu, Enten zu züchten. Die Ärztin und ihre zukünftige Schwiegertochter hatten nur noch die Aufgabe, das Projekt zu realisieren. Für die Golembiewski zeigt sich, dass ihre Arbeit eine Hilfe zur Selbstständigkeit ist. Und dass sich  – nach und nach – vieles zum Besseren verändert hat.

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Dazu hat auch das Krankenhaus beigetragen. Geführt wird es von den Karmeliterinnen, so dass der Alltag auch funktioniert, wenn Golembiewski nicht vor Ort ist. Zum Konzept gehört auch: Wer im Krankenhaus aufgenommen wird, muss einen kleinen Beitrag leisten – oft nur wenige Rupien. Der Grund: "Was man bezahlt, wird mehr geschätzt als das, was man geschenkt bekommt", sagt Golembiewski. Im Krankenhaus fehlen nur noch die Betten im oberen Stock, die für die Mütter, damit auch sie mit ihren Kindern aufgenommen werden können. Die Ärztin und alle Mitarbeiter haben viel dafür getan, dass das Krankenhaus nun fast fertig ist und es eine Anlaufstelle für die Menschen gibt. Für Golembiewski ist es trotzdem auch "ein Geschenk Gottes".

Ist sie nicht in Indien, träumt sie vom Land, das sie nicht mehr loslässt

Denn es war ein weiter Weg, bis das Krankenhaus endlich stand: Immer wieder gab und gibt es Situationen, in denen sie nicht weiterwusste, in denen sie kurz davor war, zu verzweifeln. Strenge Bürokratie, der Mangel an Geld, fehlendes Personal im Krankenhaus - denn die Ärmsten zu behandeln ist bei einheimischen Ärzten nicht beliebt - und natürlich die Korruption - Probleme, die sich nicht immer lösen lassen. Aber wenn sie einmal wieder vor solche einem Hindernis steht, dann besinnt sie sich auf ihr Vertrauen in Gott. Sie vertraut darauf, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Dass es nur gut sein kann, den Kindern eine Chance zu geben, eine Hand zu reichen, denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können. Sie weiß, dass Gott sie lenkt. Dass es immer eine Lösung gibt. Und bisher behielt sie meistens Recht.

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Zum Beispiel der Gentleman – ein reicher indischer Geschäftsmann. Der saß eines Tages mit seiner Frau auf einem Klappstuhl und beobachtete, wie die Ärztin die Kinder behandelte. Am Ende des Tages saß er immer noch da, lud Golembiewski auf einen Tee ein und bot ihr schließlich seine Hilfe an. Mittlerweile werden die Heilpflanzen, die für das Krankenhaus Medizin und für die Dorfbewohner ein Einkommen und somit Unabhängigkeit bedeuten, auf seinem Land angebaut.

Wenn sie nicht in Indien ist, dann träumt sie nachts von dem Land, das sie gepackt hat und nicht mehr loslässt. Von den Farben Westbangalens, der Hitze im Sommer, den Geräuschen, der Sprache. Aber vor allem sind es die Menschen, die für sie schon lange zur Familie gehören. Und wenn sie aufwacht, steht das nächste Projekt an, drängt sich die nächste Idee auf, muss etwas geplant, organisiert und ungesetzt werden – egal ob von Deutschland aus oder in Indien.

Schon lange ist Indien für Monika Golembiewski kein Projekt mehr, es ist ihre Lebensaufgabe. Sie hat gelernt, dass man den Menschen mit sehr wenig Mitteln sehr viel helfen kann. Sie sagt: "Jeder Tag hat sich gelohnt.

Shining Eyes - medizinische Kindernothilfe und sozioökonomische Dorfentwicklung in Indien e.V. Konto-Nr. 15 11 48 Kreissparkasse Heilbronn BLZ 620 500 00