In zwei Monaten soll Claudia Batziks zweites Kind zur Welt kommen. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie dort entbinden könnte, wo schon ihre Tochter im Dezember 2023 geboren wurde: im Rheinlandklinikum Dormagen. "Doch die Gynäkologie und der Kreißsaal sollen dieses Jahr geschlossen werden", erzählt die 34-Jährige. Nun muss sie möglicherweise 20 Minuten ins Lukaskrankenhaus nach Neuss fahren. Vielleicht unter starken Wehen, wie bei der ersten Geburt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat festgelegt, dass es höchstens 40 Minuten dauern darf, bis eine Schwangere einen Kreißsaal erreicht. Für Batzik sind jedoch schon 20 Minuten zu viel. Sie erinnert sich an schier unaushaltbare Wehen bei der ersten Geburt. Damals war der Kreißsaal nur fünf Minuten von ihrem Zuhause entfernt. Trotz Wehen wurde sie noch einmal heimgeschickt: "Der Muttermund hatte sich noch nicht geöffnet." Was, wenn das wieder geschieht, sie diesmal aber von Neuss nach Hause fahren muss?
Laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags wurden 2018 noch in 682 Kliniken Geburten betreut. "Ende 2024 gab es nach unserer Recherche nur noch rund 580", sagt Katharina Desery von der Bonner Bundeselterninitiative Mother Hood. Seit 1991 hat sich die Anzahl der Krankenhäuser mit Entbindungen halbiert. In jenem Jahr gab es noch 1.186 Geburtsstationen. Dies ist der 2019 publizierten Studie "Stationäre Hebammenversorgung" des Berliner IGES Instituts zu entnehmen.
Mit den Schließungen ist ein Trend zu größeren Häusern verbunden. Der Studie zufolge hat sich die Zahl der Kliniken mit mehr als 1.500 Geburten seit 2010 fast verdoppelt. Während an einem Standort eine Palette von Geburtsmöglichkeiten angeboten wird, wartet ein anderer Kreißsaal mit einem Standardangebot auf. Je weniger Kreißsäle es gebe, sagt Katharina Desery von Mother Hood, umso stärker schrumpfe die Wahlfreiheit der Frauen. Das betrifft zum Beispiel die Hebammenversorgung. In manchen Kreißsälen ist eine Hebamme für drei, vier oder noch mehr Gebärende zuständig. Andere bieten eine Eins-zu-eins-Betreuung an.
Alexander Schulz vom Evangelischen Krankenhauses Ludwigsfelde-Teltow: "Erst ab 800 Geburten im Jahr ist ein wirtschaftlicher Betrieb möglich."
Wobei nicht nur Frauen, sondern auch Männer von der eingeschränkten Wahlfreiheit betroffen sind. Einige Kliniken bieten etwa Vätern an, die erste Zeit nach der Geburt in einem Familienzimmer zu verbringen. Vor allem in Kliniken mit dem Zertifikat "Babyfreundliches Krankenhaus" sind Väter intensiv eingebunden. Doch selbst Kreißsäle in solchen zertifizierten Kliniken werden geschlossen. Das betrifft etwa die Geburtshilfe in Herrenberg bei Stuttgart. Hier können Schwangere voraussichtlich nur noch bis Jahresende entbinden.
Krankenhausträger führen für die abnehmende Zahl an Kreißsälen mehrere Gründe ins Feld. Von Geburtshilfestationen werde die Quadratur des Kreises verlangt, zeigt etwa Alexander Schulz am Beispiel des Evangelischen Krankenhauses Ludwigsfelde-Teltow auf. Die dortige Geburtshilfe schloss Ende November 2024. Den Betrieb aufrechtzuerhalten, war dem Pressesprecher zufolge wegen der Personalsituation unmöglich. Die Suche nach Fachärzten scheiterte. Zu schaffen machte aber auch der Geburtenrückgang. 2024 wurden in Teltow nur noch 250 Kinder geboren. Erst ab 800 Geburten im Jahr sei ein wirtschaftlicher Betrieb möglich.
Fast immer, wenn die Schließung eines Kreißsaals angekündigt wird, regt sich Protest, so gut wie immer erfolglos. So starteten im Herbst 2019 drei Mütter eine Petition zum Erhalt der Geburtshilfe im hessischen Groß-Gerau. Kurz darauf wurde die dortige Geburtshilfe eingestellt. Bereits seit 2017 gibt es Proteste gegen die geplante Schließung der Geburtsabteilung des Klinikums Neuperlach bei München. Die Schließung droht zur Jahresmitte. Aktuell läuft ein Bürgerbegehren für die Geburtshilfe in Dormagen.
Das öfter vorgebrachte Argument, dass die meisten Frauen nach wie vor in weniger als 40 Minuten eine Geburtsstation erreichen, ist zwar rein sachlich richtig. Doch gerade bei der Geburtshilfe müsse auf die jeweilige Region geblickt werden, erklärt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands: "Es gibt regional große Unterschiede." In Schleswig-Holstein etwa müssten Schwangere "enorm lange Wege" auf sich nehmen. Monika Sander vom IGES Institut, unter deren Leitung 2023 ein "Hebammengutachten Brandenburg" erarbeitet wurde, ergänzt: "Auch in Brandenburg ist es sehr dünn geworden."