Berlin (epd). Die Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Christina Rummel, hält das Thema Sucht in Deutschland für unterschätzt. „Häufig wird Sucht als Randthema behandelt“, sagte sie am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es wird auch oft so getan, als wären immer nur andere betroffen. Aber die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen sind enorm, das darf man nicht unterschätzen.“
Laut dem neuen „Jahrbuch Sucht“ der DHS waren zuletzt gut 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland Raucherinnen oder Raucher. Etwa neun Millionen Erwachsene pflegten einen als problematisch eingestuften Alkoholkonsum.
Rummel beklagte, oft werde so getan, „als wären Alkoholkonsum und Rauchen das Normalste auf der Welt“. Gerade Alkohol werde oft „verniedlicht“, etwa mit dem Argument, das Trinken gehöre zur hiesigen Kultur, sagte sie. „Aber soll es wirklich zu unserer Kultur gehören, dass Zehntausende Menschen jährlich am Alkoholkonsum sterben? Ich glaube nicht.“
Die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des legalen Drogenkonsums seien enorm, mahnte Rummel. Den DHS-Berechnungen zufolge verursacht Alkoholkonsum volkswirtschaftliche Folgekosten von 57 Milliarden Euro im Jahr, beim Tabakkonsum sind es sogar 97 Milliarden Euro. „Aber es geht natürlich auch um gesundheitliche Aspekte“, führte die Geschäftsführerin aus. Diese beträfen „nicht nur die Konsumierenden, deren Gesundheit direkt geschädigt wird“, sondern auch das gesamte Umfeld. „Hinzu kommen zum Beispiel Alkoholfahrten mit Unfällen, bei denen Unbeteiligte verletzt werden oder sterben.“
Angesichts der Gesamtproblematik biete der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD „erschreckend wenig“ zum Thema Sucht, urteilte Rummel. Sie verwies auf „handfeste wirtschaftliche Interessen“, die einer guten Sucht- und Drogenpolitik entgegenstünden. „Die Industrie macht massiv Lobbyarbeit“, gegen die etwa eine Nichtregierungsorganisation wie die DHS schwer ankomme.
Nötig wäre aus Sicht von Rummel vor allem „eine Verstärkung der Verhältnisprävention für legale Drogen“, also eine Änderung der Rahmenbedingungen. „Da reden wir über Preise, über Steuern, über Einschränkungen der Verfügbarkeit, über Werbeverbote. Das würde schon sehr viel bringen.“ Ebenfalls wichtig sei eine Stärkung der Suchhilfe. „Gerade die Suchtberatungsstellen stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagte Rummel. „Sie werden nicht auskömmlich finanziert, obwohl die Nachfrage steigt und die Fälle auch komplexer werden.“
Trotz dieser Schwierigkeiten ermunterte die DHS-Geschäftsführerin Betroffene, bei Bedarf Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Wer Hilfe brauche, bekomme sie auch. „Niemand sollte sich scheuen, Hilfe zu suchen, auch wenn die Schwelle sehr hoch scheint“, sagte Rummel. „Und die Behandlung einer Abhängigkeit ist auch erfolgversprechend.“