Wenn die Kirche zum Fitnesszentrum wird

Beichtstuhl als Schuhschrank
epd/Aaron Kniese
Der Beichtstuhl in der Kirche von Bad Orb ist umfunktioniert worden zum Schuhschrank.
Neue Nutzung alter Kirchen
Wenn die Kirche zum Fitnesszentrum wird
Wo einst Kirchenbänke standen sind jetzt Kletterwände, der Beichtstuhl wird zur Umkleidekabine: In Bad Orb haben zwei Freunde aus einer katholischen Kirche einen Ort zum Bouldern gemacht. Die stille Atmosphäre der Kirche wollten sie erhalten.

Aus der Ferne ist die Kirche St. Michael in Bad Orb noch als Gotteshaus zu erkennen. Wer näher kommt, sieht den Schriftzug "Boulderchurch" über dem Eingang sowie die Terrasse mit Bänken, Tischen und Sonnenschirmen. Nach Jahren der Planung und sechsmonatiger Bauzeit ist aus der katholischen Kirche ein Ort für Kletterer geworden.

Das Lichtspiel der Buntglasfenster hinterlässt je nach Sonneneinstrahlung gelbe, grüne, rote und blaue Farbflecken auf den 13 Meter hohen Wänden im Inneren der "Boulderchurch". Yvonne (28), die zur Eröffnung gekommen ist, freut sich über diesen Anblick und "dass Menschen hier zusammenkommen können, um Sport zu machen". Ihre Freundin Leslie (29) stimmt zu und lobt neben dem Ambiente auch das Klima: Es sei nicht so warm wie in Sporthallen, sagt sie.

Ambiente und Klima sind der Vergangenheit des Gebäudes geschuldet. Die Wände der ehemaligen Kirche sind dick und 13 hoch, die Buntglasfenster unterstrichen einst den Charakter des Sakralraums. Den wollten die beiden Eigentümer der "Boulderchurch GmbH" erhalten, erzählen Marc Ihl und Marco Köhler.

Marco Köhler und Marc Ihl haben eine leerstehende katholische Kirche in eine Boulderhalle verwandelt und bringen wieder Leben in das Gotteshaus.

Ihl stammt aus Bad Orb und wurde einst in der Kirche getauft, ebenso wie die Ehefrau von Marco Köhler. Er empfinde es als "Ehre, ein solches Objekt übernehmen zu dürfen", sagt der 42-jährige Köhler. Es habe sich angeboten, den stillen Kirchenraum mit der fast meditativen Stimmung beim Bouldern zu kombinieren und so der Allgemeinheit den Ort mit einer neuen Nutzung zurückzugeben.

Die 1964 eröffnete Kirche St. Michael war 2016 geschlossen worden. Die defekte Heizung, der marode, inzwischen abgerissene Turm und die sinkende Zahl von Kirchenmitgliedern hatten dazu geführt, dass die Kirche nicht mehr genutzt wurde. Beim örtlichen Pfarrer Stefan Kümpel und der Kirchengemeinde waren Ihl und Köhler mit ihren Plänen auf Zustimmung gestoßen.

Gegen Zerfall und Lagerhalle

Die Alternative wäre gewesen, das Gebäude langsam zerfallen zu lassen oder eine Lagerhalle daraus zu machen, sagt Kümpel. "Beides wollten wir nicht", betont der Pfarrer. Beim Bistum Fulda sei es zudem gelungen, eine Teilentweihung der Kirche durchzusetzen. Nun wird die seitliche Kapelle wieder genutzt, und zwar als Winterkirche und für die Jugend.

Die Farben der Glasfenster finden sich an den Haltegriffen auf den rund 500 Quadratmetern Kletterfläche wieder. Zum Bouldern, dem Klettern ohne Seil und Gurt - allerdings über Bodenmatten - bis einer Absprunghöhe von in der Regel 4,50 Metern, stehen rund 75 Kletterrouten in sieben Schwierigkeitsstufen zur Verfügung, sagt Ihl. Handwerker haben eine zweite Ebene über dem ehemaligen Altarraum eingezogen. Aus den ehemaligen Beichtstühlen haben sie Umkleiden gemacht, aus den alten Kirchenbänken aus Eiche Tische und anderes Mobiliar geschreinert.

Der 36-jährige Ihl ist Betriebswirt, sein Freund Köhler ist Schreiner, die Kombination der Berufe schien den beiden perfekt für das Projekt. 500.000 Euro haben sie in den Umbau investiert, inklusive 100.000 Euro aus einem europäischen Förderprogramm für Regionalentwicklung. Im nächsten Jahr möchten sie weitere Kletterflächen erschließen, und zwar im Außenbereich. Zuerst an der Ostwand zum Sonnenaufgang, ein Jahr später im Westen zum Klettern im Sonnenuntergang, sagt Köhler.