Sex mit dem Teufel

In Grossharthau in der Lausitz (Ostsachsen) werden am Vorabend des 1. Mai traditionell Hexen aus Pappe verbrannt
epd-bild/Matthias Rietschel
Heute werden in Deutschland nur noch gebastelte Hexen aus Pappe verbrannt, wie in der Lausitz traditionell vor dem 1. Mai. Die letzte lebende Hexe, Anna Maria Schwägelin, wurde hierzulande 1775 hingerichtet.
Hexen: das letzte Todesurteil
Sex mit dem Teufel
Ganz im Süden erging 1775 das letzte Todesurteil auf deutschem Boden gegen eine angebliche Hexe. Vollstreckt wurde es an Anna Maria Schwägelin zwar nicht. Ein gutes Ende nahm der Prozess dennoch für sie nicht.

Als die Magd Anna Maria Schwägelin auf dem Feld arbeitet, kommt aus dem Wald ein Fremder auf sie zu. Sie solle sich zu ihm setzen, mit ihm "kurzweilen", lädt er sie ein. Schwägelin lehnt ab. Der Fremde sagt, er sei der Teufel, und sie würden schon noch zusammenkommen. Dann verabschiedet er sich.

So erzählt es Schwägelin dem Landrichter Franz Wilhelm Treuchtlinger des Stifts Kempten im Allgäu. Der kommt zu dem Schluss, dass Schwägelin mit dem Teufel im Bunde und folglich eine Hexe sei. Sein Urteil, ausgestellt vor 250 Jahren am 30. März 1775, lautet, "dass die Inquisitin durch das Schwerdt vom Leben zum Todt hinzurichten, der Cadaver hingegen nach guter Gewohnheit zu verbrennen seye". Anfang April bestätigt der Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein das Verdikt.

Schwägelin, in manchen Quellen auch Schwegelin genannt, ist die letzte zum Tod verurteilte "Hexe" im Heiligen Römischen Reich. Über ihren Fall war lange nur wenig bekannt, weil die Originalakten verschollen waren. Aber 1998 tauchten diese Akten im Besitz eines Privatmanns aus Kempten auf. Ein Landrichter hatte nämlich Anfang des 19. Jahrhunderts, als das Kloster Kempten säkularisiert worden war, Akten mit nach Hause genommen. Dort hatten sie die Zeit überdauert.

Verfolgungswellen haben eine Ventilfunktion

Hexenverfolgungen sind vor allem ein Krisenphänomen. Während der Frühen Neuzeit kühlt das Klima ab, was für wiederkehrende Missernten sorgt. Reformation und Gegenreformation erschüttern das Weltbild der Zeitgenossen, der Dreißigjährige Krieg bringt unendliche Not. Die Forschung sieht in den Verfolgungswellen vor allem eine Ventilfunktion. Mit der Suche nach Sündenböcken reagiert die Gesellschaft ihre Aggressionen ab.

Der Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg im thüringischen Schmalkalden, Kai Lehmann, betont einen weiteren Aspekt: "Hexenverfolgung ist auch ein Medienphänomen." Die Berichterstattung über Hexenprozesse durch Flugblätter, möglich geworden durch den Buchdruck, trug dazu bei, dass Menschen überall Hexen und Zauberer sahen.

Kloster Kempten, Federzeichnung 1632.

Ende des 18. Jahrhunderts aber sind Hexenprozesse ungewöhnlich geworden. Denn immerhin ist das die Zeit der Aufklärung. Der Kemptener Historiker Wolfgang Petz hat den Fall der Magd Anna Maria Schwägelin aus den Prozessakten erforscht und dazu veröffentlicht. Für ihn hat er viel mit der Person des Richters Treuchtlinger zu tun. Der sei "ein konservatives Relikt" gewesen, erläutert Petz: "Wenn es ein jüngerer, der Aufklärung zugewandter Richter gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht zu diesem Prozess gekommen."
Wobei er den Treuchtlinger nicht als zwanghaften Hexenverfolger abqualifizieren wolle, sagt Petz. Der Richter habe nicht aktiv nach vermeintlichen Hexen gesucht: "Aber dieser Fall ist ihm vor die Füße gefallen."

Teufel sprach sie auf dem Feld an

Schwägelin wurde 1729 in bitterarmen Verhältnissen in der Nähe von Memmingen geboren. Früh verwaist, schlug sie sich als Magd durch. Ab 1769 lebte sie in Armenhäusern, weil sie zu krank zum Arbeiten war.

Ein Ausweg aus prekären Verhältnissen war damals in der Regel nur durch Heirat möglich. Auch für Schwägelin schien dieser Weg offen, als ihr 1751 ein Kutscher die Ehe versprach - wenn sie zum lutherischen Glauben konvertiere. Das tat sie auch, der Kutscher ließ sie dann aber für eine andere sitzen.

Kurz nach ihrem Übertritt zum Protestantismus, so berichtet sie später, habe der Teufel sie auf dem Feld angesprochen. Mehrfach habe er sie danach aufgesucht, dabei hätten sie Sex gehabt, was ihr "alleweil eine Freud und eine Wohllust" gewesen sei. Die sogenannte Teufelsbuhlschaft ist einer der zentralen Anklagepunkte in Hexenprozessen.

Ob Schwägelin tatsächlich konvertiert ist, geht aus den Akten nicht hervor. Aber sie scheint davon überzeugt zu sein, und offenbar peinigt das ihr Gewissen. Historiker Petz hat bei diesen Gewissensqualen den geschichtlichen Kontext im Blick. Das Thema sei damals "von einer Tragweite gewesen, die wir uns heute kaum noch vorstellen können", erklärt er. "Ein Abfall vom Glauben wird da schnell als Abfall von Gott interpretiert." Zum vermeintlichen Teufelspakt sei es da nicht weit.

Mehrfach erzählt Schwägelin anderen von ihrem Kontakt zum Teufel, aber jahrelang geschieht nichts. Offenbar findet niemand das alles besonders strafwürdig. Erst als eine Mitbewohnerin des Armenhauses Schwägelin beim Stiftsgericht anzeigt, kommt es zum Prozess.

Heute könnte man den Glauben, mit dem Teufel zu verkehren, als Symptom einer psychischen Krankheit werten. Historiker Petz aber erklärt: "Die Bewertung als krank oder gesund ist eine Frage gesellschaftlicher Maßstäbe, und die ändern sich." Im 18. Jahrhundert sei ein erheblicher Teil der Menschen von der leibhaftigen Existenz des Teufels überzeugt gewesen.

Lange glaubte man, dass Schwägelin die letzte hingerichtete vermeintliche Hexe auf deutschem Boden sei. In einem Kemptener Kirchenbuch aber fand Petz den Hinweis, dass sie erst sechs Jahre nach dem Prozess im Gefängnis gestorben sei, und dass sie zuvor gar die Sterbesakramente erhalten habe.

Der Fürstabt sei der Aufklärung nicht abgeneigt gewesen, beschreibt Petz: "Der Fürstenhof in Kempten war kein Hort der Finsternis." Obwohl der Abt das Urteil zunächst unterzeichnet hatte, ließ er es nicht vollstrecken. Ins Armenhaus habe Schwägelin aber nicht zurückkönnen, weil der Abt schon zuvor geplant hatte, es aufzulösen. Wahrscheinlich sei es die einfachste Lösung gewesen, Schwägelin stillschweigend im Gefängnis zu belassen.