Bundespräsident sieht in Corona-Aufarbeitung "riesige Chance"

Bundespräsident sieht in Corona-Aufarbeitung "riesige Chance"
Eine große Mehrheit der Gesellschaft wünscht sich eine stärkere Corona-Aufarbeitung. An den nächsten Bundestag appelliert der Bundespräsident, der Forderung nachzukommen - auch zum Schutz der Demokratie.

Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu einer gründlichen Aufarbeitung der Corona-Pandemie aufgerufen. Er sei zwar weiterhin überzeugt, dass Deutschland besser durch diese Zeit gekommen sei als viele andere Länder, dennoch bedauere er es, dass in der vergangenen Legislaturperiode darüber keine Einigung gelungen sei, sagte Steinmeier am Freitag bei einer Diskussion über die Corona-Folgen im Schloss Bellevue. Die Aufarbeitung werde von den Menschen in diesem Land erwartet und sei eine „riesige Chance“.

An den neuen Bundestag und die künftige Bundesregierung appellierte das Staatsoberhaupt, diese Chance wahrzunehmen: „Ich halte es für unabdingbar, Transparenz herzustellen und damit möglichst viele Menschen zurückzugewinnen, die in der Zeit der Pandemie an der Demokratie gezweifelt haben und ihr jetzt vielleicht gar nicht mehr vertrauen.“ Das, was nicht angesprochen werde, nähre neue Verschwörungstheorien und neues Misstrauen. „Beides ist Gift für unsere Demokratie. Beides spielt Populisten in die Hände, und das dürfen wir nicht zulassen“, sagte der Bundespräsident.

Steinmeier warnte zugleich davor, vordergründig nach Schuldigen und Sündenböcken zu suchen. Das führe lediglich zu neuen Verhärtungen. Dennoch stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit zum Beispiel von flächendeckenden Schulschließungen und Grundrechtseinschränkungen wie die der Versammlungsfreiheit sowie nach der Rolle der Politik. Eine gründliche Aufarbeitung diene dazu, in künftigen ähnlichen Krisensituationen resilienter und stärker zu sein.

An der Diskussionsrunde nahmen Vertreter aus Gesellschaft, Kultur und Politik teil. Katrin Andres, Inhaberin eines Hotels in Freyung, Bayern, berichtete, die Pandemie sei für ihren Hotelbetrieb wirtschaftlich „das komplette Desaster“ gewesen, „rein privat war es super“. Endlich habe sie gelernt, was es heißt, ein normales Familienleben zu führen. Die Zurückhaltung der Menschen in ihrem Hotelrestaurant einzukehren, sei aber nach wie vor zu spüren.

Der Medizinstudent Amandeep Grewal aus Frankfurt am Main kritisierte es als vertane Chance, dass für Menschen, denen während der Pandemie applaudiert wurde, keine besseren Berufsbedingungen geschaffen worden seien. Zudem fehlten nach wie vor Medizinstudienplätze und die Arbeitszeiten und -belastung im Gesundheitssektor sei zu hoch. „Es gibt Menschen in der Assistenzarzt-Zeit, die in den großen Krankenhäusern total verbrannt werden. Ich habe selber Freunde, die jetzt in Beratungsunternehmen gehen und ihren Facharzt nicht fertig machen.“ Während der Pandemie gründete Grewal eine Plattform zur Vermittlung medizinischen Personals. Mit Blick auf eine nächste Krise forderte er, vorhandene digitale Lösungen zu nutzen und diese auszubauen.

Auf „extrem nachhaltige“ Folgen der Pandemie für Kinder verwies Maxi Brautmeier-Ulrich, Grundschulleiterin aus Paderborn. Insbesondere die Schulschließungen hätten das Vertrauen in die Schule und das Bildungssystem dauerhaft gestört. Viele Ängste vor dem Schulbesuch seien geblieben. „Wir können das kaum bearbeiten, weil die Unterstützung im sozial-psychologischen Bereich nicht in dem Maße gewachsen ist, wie es notwendig wäre“, sagte sie. Auch die schulischen Kompetenzen hätten enorm gelitten. „Das wird nicht mal eben wieder weggehen“, prognostizierte sie.