Kassel (epd). Das Bundessozialgericht (BSG) hat klargestellt, dass zum Anspruch behinderter Menschen auf soziale Teilhabe auch die Teilhabe am Familienleben gehört. Lebt ein erwachsener behinderter Mensch in einem Wohnheim, kann ihm die Kostenübernahme für notwendige regelmäßige Heimfahrten zu seinen Eltern zustehen, urteilte am Donnerstag das Gericht in Kassel. (AZ: B 8 SO 10/23 R)
Der schwerst behinderte erwachsene Kläger lebt in einem Wohnheim für behinderte Menschen im Landkreis Hildesheim. Der Landkreis als zuständiger Träger der Eingliederungshilfe genehmigte ihm eine Besuchsbeihilfe, damit er einmal pro Monat mit dem Taxi zu seinen Eltern nach Hause fahren kann. Eine Hin- und Rückfahrt kostete 432 Euro. Der Kläger verlangte jedoch die Kostenübernahme für zunächst insgesamt zwei monatliche Heimfahrten.
Er legte dazu ein ärztliches Attest vor, wonach die zusätzlichen Heimfahrten zur Aufrechterhaltung seiner psychischen Gesundheit erforderlich seien. Vor Gericht begrenzte der Kläger seinen Antrag auf Kostenübernahme für fünf weitere Heimfahrten, die im Streitzeitraum September 2018 bis Ende 2019 tatsächlich angefallen waren.
Der Landkreis lehnte den weitergehenden Antrag ab. Die Besuchsbeihilfe für Fahrten zu den Eltern sei keine „soziale Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe“, argumentierte die Behörde. Nach dem geltenden früheren Recht können Kosten für Besuchsfahrten für in Einrichtungen lebende behinderte Menschen im Einzelfall übernommen werden, wenn das „erforderlich“ ist.
Das BSG urteilte, dass der Kläger Anspruch auf Kostenübernahme für die angefallenen fünf weiteren Heimfahrten hat. Sie seien nach den Feststellungen des Landessozialgerichts Celle auch „erforderlich“ gewesen. Die erforderliche Besuchsbeihilfe sei sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen, ab 2020 geltenden Recht, eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe, für die der Landkreis aufkommen müsse. Der Eingliederungshilfeträger müsse die soziale Teilhabe ermöglichen, wozu auch die Teilhabe am Familienleben gehöre, stellten die obersten Sozialrichter klar. Inwieweit und wie häufig ein Anspruch auf Kostenübernahme für Heimfahrten bestehe, hänge aber vom Einzelfall ab, befand das Gericht.