"Gott sitzt in einem Kirschenbaum"

Blüten eines Kirschbaums
Thinkstock/iStock/Toshimitu
Für den Kabarettisten und Friedensaktivisten Hanns-Dieter Hüsch ist Gott heiter und stets für einen Schabernack zu haben.
Geistliche Texte von Hüsch
"Gott sitzt in einem Kirschenbaum"
Der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch war Kabarettist und Friedensaktivist, fromm und gesellschaftskritisch, evangelisch und politisch engagiert. Anlässlich seines 100. Geburtstages erscheint ein Buch seiner geistlichen Gedanken, Psalmen und Gebete. evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone hat mit dem Herausgeber, den Theologen Okko Herlyn, über Hüschs "Widersprüchlichkeit" und Aktualität gesprochen.

evangelisch.de: Herr Herlyn, Sie haben ein Buch mit den geistlichen Texten des Kabarettisten und bekennenden Protestanten Hanns-Dieter Hüsch herausgegeben. Was fasziniert Sie an Hüsch? 

Okko Herlyn: Am meisten fasziniert mich an ihm seine liebe und einfühlsame Art der Beobachtung von Menschen. Natürlich machen wir das alle. Aber Hüsch macht das mit einem sehr gemütvollen Blick, letztlich bestimmt eine große Menschenliebe seinen Blick. Das gilt sowohl für seine niederrheinischen Geschichten als auch seine gesellschaftskritischen, politischen Texte und geistlichen Texte.

Alles ist kunstvoll miteinander verwoben. So kommt in einem politischen Text auch immer ein biblischer Bezug vor und in einem Psalm kommt auch immer so ein politischer Seitenhieb. Das faszinierende aber ist, dass er die kleinen Menschen beobachtet und von ihrem Alltagsleben und Sorgen erzählt. Bei ihm ist Gott auch menschlich, wenn er sagt: ‚Das sitze ich in der Kneipe und der liebe Gott kommt herein und trinkt ein Bierchen mit mir‘.

Die Hüsch- Texte wurden von Herausgeber Okko Herlyn - selbst Kabarettist und von der Zeitschrift Publik- Forum einst als "begnadeter Nachfahre des großen Hanns Dieter Hüsch" bezeichnet - sorgfältig zusammengestellt und auf gewohnt unterhaltsame Art mit einer "kleinen Theologie des Hanns Dieter Hüsch" versehen.

Dieses Miteinander politisch und fromm ist kein Widerspruch, es ist einfach Hüschs Merkmal. Dabei bleibt er immer ein Poet. Auch Johannes Rau hat ihn als "Poeten unter den Kabarettisten" bezeichnet.

Damals hat Hüsch schon gekonnt Humor mit Kritik verbunden, Kritik auch an Kirche – zu viele Verbote, Kriegstreiberei der Menschen. Er hat auch den Faschismus kritisiert und jeden, der verbietet, kontrolliert, sich über den anderen stellt?

Herlyn: Im Gedicht "Das Phänomen" spricht er genau dies an. Er thematisiert genau das "Sich über einen anderen stellen". Sobald wir uns nämlich über einen anderen erheben, setzen sich bestimmte Verhaltensmuster in Bewegung und bevor einem das eigentlich klar ist, befindet man sich in einem Teufelskreis.

"Man sieht immer wieder die Zärtlichkeit, die Menschenliebe, die man in Hüschs gesellschaftskritischen und politischen, aber auch frommen Texten findet."

Hüsch lädt uns ein, diesen zu durchbrechen, sich mutig "vor das Türkenkind" zu stellen, dann bewahren wir auch unsere kindliche Zärtlichkeit. Hier sieht man auch wieder die Zärtlichkeit, die Menschenliebe, die man in Hüschs gesellschaftskritischen und politischen, aber auch frommen Texten findet. Es ist eben kein Widerspruch.

In der Tat hat Hüsch sein politisches Engagement mit Frömmigkeit vermischt und wurde daher als Verräter, mit einem "Kitschgemüt mit bourgeoisen Verniedlichungstrend", bezeichnet. Wie sehen Sie das? Kann und soll man Politik und Kirche vereinen?

Herlyn: Ich denke, dass Glaube immer auch politisch ist. Man muss nur die Bibel aufschlagen, um zu sehen, dass dies schon immer so gewesen war. Hüsch wurde oft kritisiert, als zu fromm oder lammfromm bezeichnet, vor allem in den 68er Jahren – das hat ihn sehr getroffen und er hat sich zurückgezogen. Noch 2001 wurde er von seinem Kabarett-Kollegen Franz-Josef Degenhardt als "Verräter" bezeichnet, der angeblich die alten aufklärerischen Ideale verraten habe und sich jetzt nur noch mit frommen Themen auseinandersetze. Das ist aber eine Legende, die besagt, dass Hüsch, der ehemals gesellschaftskritisch war, erst im Alter sozusagen fromm geworden sei. Nach dem Motto: ‚Wenn es dem Ende zugeht, werden wir alle fromm!‘ Das stimmt aber nicht. 

"Er hat sich immer gesellschaftskritisch und politisch geäußert. Ihn als "Verräter" zu bezeichnen, ist meiner Meinung einfach absurd."

Hüsch kommt aus einem sehr protestantischen Milieu, ist in Moers getauft und konfirmiert worden. Er hat von sich selbst gesagt: ‚Es gibt nur zwei Institutionen, wo ich Mitglied bin. Nicht etwa eine Partei oder ein Verein, sondern die Kirche und die GEMA. Er hat bereits in seinen frühen Texten einen Bezug zur Kirche gehabt – zwar keine Bekenntnisse, aber geistliche Gedanken oder einfache Beschreibungen und Beobachtungen des evangelischen Kleinbürger-Milieus. 

Dieser Bezug zur Kirche und die geistlichen Texte haben dann zugenommen, als mehr Nachfragen seitens der Kirche kamen und er auf Kirchentagen gesprochen hat, von Gemeinden eingeladen wurde, einen Gottesdienst zu machen – dabei hat er sich auch immer gesellschaftskritisch und politisch geäußert. Ihn als "Verräter" zu bezeichnen, ist meiner Meinung einfach absurd. 

Die theologischen Schriften Hüschs zusammenzutragen ist auch ein Traum von Ihnen, den Sie lange gehegt haben? Ist der Zeitpunkt reiner Zufall oder gewollt in diesen unruhigen Zeiten?

Herlyn: Natürlich hängt der Zeitpunkt der Veröffentlichung mit dem 100. Geburtstag von Hanns-Dieter Hüsch zusammen. Ich wollte aber nicht ein Buch über Hüsch schreiben, sondern Hüsch selbst zu Wort kommen lassen. Zumal Hüschs Texte immer noch oder wieder einen ganz aktuellen Bezug haben. Hüschs Gedichte, Psalmen und Texte werden nach wie vor zitiert, in Gottesdiensten, sogar im Evangelischen Gesangbuch. 

"Das Buch kann uns helfen, in uns zu gehen, zu hinterfragen, aber auch Trost zu spenden und auf unsere Mitmenschen zuzugehen, einen Diskurs zu starten, statt uns hasserfüllt zu streiten."

Gerade in diesen unruhigen Zeiten kann das Buch mit seinen geistlichen Texten uns helfen, in uns zu gehen, zu hinterfragen, aber auch Trost zu spenden und auf unsere Mitmenschen zuzugehen, einen Diskurs zu starten, statt uns hasserfüllt zu streiten. 

In der Tat ist Hüschs Kernbotschaft im Buch eindeutig "Ich setze auf die Liebe": Wir sollten uns nicht erschüttern lassen in unserer Liebe, nicht ablenken oder instrumentalisieren lassen. Wir sollten andere Menschen akzeptieren, auch wenn Sie eine andere Meinung haben. Bewegen wir uns weg von der Liebe?

Herlyn: Das ist gerade ein sehr aktuelles Thema. Wenn ich sehe, wie unversöhnlich zurzeit etwa auf der politischen Ebene miteinander umgegangen wird. Ich frage mich, wie wir überhaupt noch ab dem 24. Februar wieder zusammenkommen können. Wenn man die Talkshows oder die Gesellschaft im Ganzen anschaut, sieht man kaum noch Diskurs, kaum noch ein Miteinander, sondern fast nur noch ein Gegeneinander. Man geht nicht auf die Meinung anderer ein, sondern tut sie nur noch als lächerlich und dumm ab. 

"Rechtsextremes, völkisches Denken überwindet man nicht durch bloße Ausgrenzung."

Ich kann mich erinnern, dass es vor Jahren einen Riesenstreit um die Frage gab, ob die AfD – wie alle anderen Parteien auch – auf dem Kirchentag vertreten sein dürfte. Der damalige Bischof von Brandenburg, Markus Dröge, entschied sich gegen die prinzipielle Ausgrenzung und für ein öffentliches Streitgespräch mit Anette Schultner von "Christen in der AfD". Ich fand das richtig. Rechtsextremes, völkisches Denken überwindet man nicht durch bloße Ausgrenzung. Man muss es entlarven und seine Gefährlichkeit deutlich machen. Das ist Dröge seinerzeit eindrucksvoll gelungen. Frau Schultner ist übrigens kurze Zeit später aus der AfD ausgetreten.

War Hüsch ein Pazifist, ohne "Wenn und Aber"? Was können wir aus dem Text "Anstoß zum Frieden" lernen? 

Herlyn: Das war er auf jeden Fall! Er hat immer für die Liebe und den Frieden ausgesprochen. In einem Psalm schreibt er: ‚Ich stehe unter Gottes Schutz, er lässt mich nicht in die Leere laufen und macht aus mir keinen Kriegsknecht.‘ "Kriegsknecht" ist biblischer Sprachgebrauch, heute nicht mehr üblich. Hüsch hat das Wort offenbar mit Bedacht gewählt. Ich habe ihn als ziemlich entschiedenen Pazifisten kennengelernt. Wie er sich allerdings heute positionieren würde, das wissen wir nicht.

Hüsch schreibt auch, dass wir nicht alles der Mächtigen glauben sollen, dass wir hinterfragen sollen. Hüsch geht es vor allem aber um Zuversicht, dass wir uns als Menschen ändern und "in den Himmel wachsen" können. Ist das Utopie?

Herlyn: Ich sehe gerade Hüschs Text "Utopie" als Vision – ganz im Sinne von Martin Luther Kings ‚I Have a Dream!‘. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mal gesagt, wer Visionen habe, der solle zum Arzt gehen. Das sehe ich nicht so! Für mich sind Visionen Träume, an deren Erfüllung wir arbeiten können. Martin Luther King hat auch Visionen gehabt und damit die Bürgerrechtsbewegung auf den Weg gebracht. Also alles andere als eine Krankheit, denn er hat politisch etwas bewirkt. Nur, wenn man Visionen hat, kann man auch etwas verändern. 

Mit Visionen blickt man in die Zukunft. In eine Zukunft, die man vielleicht selbst nicht erlebt. So schreibt Hüsch genau wie Martin Luther King: ‚Das ist eine Zeit, die ich nicht mehr erleben!‘ So wie Martin Luther King, der noch einen Tag vor seiner Ermordung eine Welt gesehen hat ohne Rassismus und Diskriminierung. Unsere Träume können "in den Himmel wachsen" und sich gerade deshalb auf der Erde ausbreiten und entfalten. 

Und uns mit der Natur versöhnen, um Gott näher zu sein? 

Herlyn: Vielleicht meint das Hüsch, wenn er schreibt: ‚Gott sitzt in einem Kirschenbaum‘!

 

Ein Glück, dass es den Himmel gibt - Psalmen, Gebete und geistliche Gedanken von Hanns Dieter Hüsch, von Okko Herlyn, Neukirchener Verlage, 111 Seiten, Gebunden, ISBN 978-3-7615-7042-5m 15,00 EUR