Die Jugend von heute ist die Zukunft von morgen? Unsere Gesellschaft behandelt junge Menschen so, als würden sie nie erwachsen werden. Oft spielt Politik Bedürfnisse junger Menschen herunter, nimmt deren Interessen nicht ernst, und entmündigt damit eine ganze Generation.
Bei der Bundestagswahl 2025 scheinen die Themen junger Menschen konsequent wenig Relevanz zu haben. Schlagworte wie Bildungsgerechtigkeit, Klimaschutz, Mietpreis-Deckelung, oder gleiche Aufstiegschancen scheinen wie Randnotizen des Wahlkampfes. Dabei wäre das Gegenteil angebracht: Wir leben in einer schrecklich überalterten Bundesrepublik. Die Gruppe der 18- bis 20-Jährigen macht heute gerade einmal 2,4 Prozent der Wählerschaft aus. Dieser Pinselstrich im Säulendiagramm wird von einem wuchtigen 23,2-Prozent-Block von Über-70-Jährigen überragt. Es wäre also nur gerecht und grundlegend demokratisch, Jugendlichen mehr Stimmen zu geben. Und zwar, indem das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesenkt wird.
Sarah Neder ist Redakteurin bei evangelisch.de. Sie studierte Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Später volontierte sie bei der Offenbach-Post, wo sie anschließend als Lokalredakteurin arbeitete. Im Sommer 2017 ist sie nach England ausgewandert, und arbeitet in Manchester als freie Journalistin und Autorin für englische und deutsche Publikationen wie den Tagesspiegel oder den Dumont-Reiseverlag. Seit November 2020 ist Sarah Neder Teil des evangelisch.de-Teams.
Klingt traumtänzerisch? Bei den Europawahlen im vergangenen Jahr durften erstmals Jugendliche ab 16 Jahre wählen. Durch die Änderung kamen etwa 1,4 Millionen junge Wahlberechtigte hinzu. Und auch auf Landesebene gibt es einen Trend zu jüngeren Wähler:innen: In Berlin, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Brandenburg dürfen bereits Bürger:innen ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Wieso geht das also nicht auch auf Bundesebene?
Ein populäres Gegenargument ist: Reife. Das impliziert: Menschen unter 18 wissen nicht, was sie wollen. Eine überhebliche Sicht auf eine Gruppe, die in genau diesem Alter lebensverändernde Entscheidungen wie zur Ausbildung oder zum Studium treffen muss. Das Argument mangelnder Reife ist auch wissenschaftlich widerlegt. So haben etwa Politikwissenschaftler von der FU Berlin und der TU Chemnitz herausgefunden, dass es praktisch keine Unterschiede hinsichtlich des politischen Wissens und des politischen Interesses zwischen 15-, 16-, 17-, 18-, 19- und 20-Jährigen gebe. Das Argument mangelnder Reife finde in ihren Erhebungen "keine Bestätigung".
Reisen wir doch kurz in das Jahr 1970. Die Weltpolitik ist von Krisen geprägt. Krieg in Vietnam. In Deutschland beherrscht die Aufarbeitung der NS-Zeit den Diskurs und die Terrorgruppe RAF die Schlagzeilen der Zeitungen. Die Jugend ist politisierter denn je. Dieses Potential erkennt der damalige Kanzler Willy Brandt und setzt sich für eine Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre ein. Seinem Credo "Mehr Demokratie wagen" treu. Die SPD wird in der darauffolgenden Bundestagswahl als Gewinnerin hervorgehen.
Nun liegen die 70er mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Aber die globale Lage scheint ebenso von Konflikten gebeutelt. Vielleicht ist es also genau jetzt an der Zeit für einen weiteren Vorstoß? Macht die Ohren auf für die jungen Leute!