Bahnverspätungen, Zugausfälle und Streiks. Die Deutsche Bahn steht immer wieder in der Kritik und Kunden machen ihrem Ärger Luft. Wie äußert sich das?
Malte Krohn: Grundsätzlich ist das Netz ein Ort, an dem viel Positives passiert. Ein Ort, an dem Mitarbeitende von uns immer wieder gelobt und schöne Geschichten über den Einsatz der Kolleginnen und Kollegen geteilt werden. Für viele ist Social Media aber auch die erste Anlaufstelle, um Frust loszuwerden. Dadurch bekommen wir schnell mit, wenn etwas nicht funktioniert. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Plattformen: sowohl in der Art der Kommunikation als auch im Ton. Eine Instagram-Direktnachricht ist oft viel enthemmter als ein öffentlicher Kommentar. Unsere Kanäle bieten Raum für Beschwerden, doch leider beobachten wir zunehmend verbale Entgleisungen. Es bleibt nicht mehr nur bei Kritik. Beleidigungen und persönliche Angriffe nehmen auf Social Media zu. Diese Entwicklung hat uns dazu veranlasst, selbst aktiv zu werden. Im vergangenen Jahr haben wir eine Aktionswoche gegen "Hass im Netz" auf all unseren Kanälen organisiert. Wir sehen, dass die Diskussionskultur insgesamt verroht, selbst auf Plattformen wie LinkedIn. Das können und wollen wir nicht akzeptieren.
Sie lassen die Kommentare nicht einfach nur stehen, sondern antworten relativ zügig darauf. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Reaktionen trotzdem durchdacht und angemessen sind?
Krohn: Social Media hat für uns eine Blitzableiterfunktion. Viele Kundinnen und Kunden schreiben uns unterwegs, wenn sie am Bahnhof stehen oder im Zug sitzen, und dann muss es sehr, sehr schnell gehen. Wir wissen aus Umfragen, dass viele junge Menschen Unternehmen nur über Social Media kontaktieren und sonst gar nicht. Wenn wir die Kanäle nicht hätten, würde das im schlimmsten Falle bedeuten, dass Menschen mit ihrem Problem alleine dastehen oder gar nicht Bahn fahren. Wir haben sehr gut ausgebildete Social-Media-Managerinnen und -Manager, die die Produkte kennen. Dementsprechend müssen die Mitarbeitenden gut geschult sein und sie müssen immer informiert sein. Das Thema interne Informationsweitergabe ist sehr wichtig.
Welche Strategien nutzen Sie konkret, um mit negativen Kommentaren oder Shitstorms konstruktiv umzugehen?
Krohn: Natürlich versuchen wir, aktiv mitzuwirken und beobachten die Lage im Netz genau. Unser Monitoring beschränkt sich nicht nur auf unsere eigenen Kanäle, sondern erstreckt sich auch darüber hinaus, um frühzeitig Stimmungen und Trends zu erkennen. Wenn wir sehen, dass ein Thema auf uns zukommen könnte, begegnen wir dem proaktiv. Ein wichtiges Beispiel ist die Störungskommunikation: Wenn wir erkennen, dass eine Störung mit bundesweiter Auswirkung droht, informieren wir frühzeitig über unsere Kanäle. So verhindern wir, dass eine Flut an Anfragen auf uns einprasselt und nehmen Kritikern oft schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln. Das gilt auch für Ereignisse wie Unwetter, bei denen absehbar ist, dass es zu Einschränkungen kommen kann.
Indem wir transparent und frühzeitig kommunizieren, konnten wir in der Vergangenheit viel Frust vermeiden. Dabei kommt es immer auf den jeweiligen Kanal an. Auf Instagram, wo wir ohnehin humorvoll auftreten, begegnen wir kritischen Themen oft mit einem Augenzwinkern, um zu verdeutlichen, dass wir auch sehr selbstkritisch unterwegs sind. So gelingt es uns immer wieder, die Stimmung aufzulockern und die Diskussion in konstruktive Bahnen zu lenken. Aber da kommt es auf Fingerspitzengefühl an.
"Man könnte sich durchaus ein bisschen humorvoll über die Komplexität von Prozessen innerhalb der Kirche äußern"
Können Sie ein Beispiel geben, wie die Kirchen das anwenden können?
Krohn: Bei Kirchenschließungen wäre es fatal, einen lustigen Post zu machen. Man könnte sich aber durchaus ein bisschen humorvoll über die Komplexität von Prozessen innerhalb der Kirche äußern. Allerdings darf man auch nie die Innenwirkung vergessen, wenn man sich zu häufig über sich selbst lustig macht. Irgendwann denken sich Mitglieder: "Vielleicht ist da ja was dran, wenn sie selbst betonen, dass es schlecht läuft." Auch die Zielgruppe ist wichtig. Wir nutzen Ironie insbesondere auf Instagram, bei jüngeren Menschen kommt das oft gut an. Bei Älteren punktet man als Unternehmen mit Humor und Ironie nicht immer.
Welche Strategien lassen sich noch auf die Kirche anwenden?
Krohn: Eine gewisse Dickhäutigkeit braucht man auf den Social Media-Kanälen grundsätzlich. Es ist auch notwendig, Dinge aushalten zu können und nicht über jedes kleine Stöckchen zu springen: Natürlich wird immer wieder versucht, uns in irgendeiner Form zu provozieren und das sehe ich auch in der Kommunikation in Richtung Kirche. Wir reagieren nur dann, wenn wir es auch für sinnvoll erachten. Wenn jemand einfach nur pöbeln möchte, bekommt diese Person keine Antwort. Es macht keinen Sinn, im Internet unnötige Diskussionen zu führen.
Welches Potenzial hat Social Media, um das öffentliche Image eines Unternehmens wie der Deutschen Bahn oder eben eine Institution wie der Kirche positiv zu beeinflussen?
Krohn: Social Media erreicht schnell viele Menschen, reagiert auf aktuelle Ereignisse und stellt Dinge richtig. Es zeigt die Vielfalt und die Menschen hinter der Deutschen Bahn – etwa durch Einblicke in die Arbeit von Lokführerinnen und Lokführer und Zugbegleitenden. Dadurch werden wir nahbarer. Dasselbe gilt für die Kirche, die viele erzählenswerte Geschichten und wahnsinnig engagierte Mitarbeitende im Haupt- und Ehrenamt hat. Jeder Post beeinflusst das Image der Deutschen Bahn. Manche Posts gehen viral, andere nicht – doch alle prägen die öffentliche Wahrnehmung. Erfolgreiche Kampagnen, wie unsere Reiseinspirationen während Corona, haben gezeigt, dass man mit kreativen Ideen Menschen begeistern kann.
Unser Ziel ist, die Bahn als nachhaltige, günstige Reisemöglichkeit in ihrer Vielfalt darzustellen. Viele wissen nicht, dass zum DB Personenverkehr auch Busse und Fähren gehören. Genauso kann die Kirche ihren positiven Einfluss sichtbar machen und zeigen, was ohne sie fehlen würde.
Welche Fehler in ihrer Krisenkommunikation bereuen sie und was haben Sie daraus lernen können?
Krohn: Eine wichtige Lektion ist, dass auf Social Media jede Kleinigkeit gesehen wird. Im Herbst 2018 zeigte unser Facebook-Titelbild einen ICE im Sonnenuntergang – obwohl wegen eines heftigen Sturms kein Zug mehr fuhr. Eine große Tageszeitung kritisierte uns dafür. Eine scheinbare Kleinigkeit wurde zum Aufreger. Ich habe daraus gelernt, dass man gerade in stressigen Situationen wie einer Großstörung auch auf solche Details achten muss. Ein Bild oder ein Beitrag kann völlig anders interpretiert werden, als man es beabsichtigt.
In der Krisenkommunikation kommt es darauf an, alles im Blick zu haben und zu wissen, wer wo was kommuniziert. Das ist besonders in großen Organisationen wie der Deutschen Bahn oder der Kirche wichtig, weil viele Stellen gleichzeitig sprechen. Wir haben daraus gelernt und uns verbessert. Heute führen wir unsere Großstörungskommunikation viel koordinierter durch und sprechen mit einer einheitlichen Stimme. Das merken die Kundinnen und Kunden.
Die ökumenische Tagung "Kirche im Web", mitveranstaltet von evangelisch.de, findet am 13. und 14. März 2025 in Münster statt. In diesem Jahr steht sie unter dem spannenden Thema "Zwischen Shitstorm und Pfarreifusion – Change Kommunikation in Kirchen". Ein besonderes Highlight: Malte Krohn, Leiter Social Media bei Deutsche Bahn Personenverkehr, wird über Krisenkommunikation sprechen.
Eine Teilnahme ist sowohl vor Ort als auch online möglich. Anmeldeschluss ist der 7. März 2025. Hier geht’s zur Anmeldung KIW25.