"Die Situation wird dramatischer", sagt Pfarrer Christoph Schmitz. Er leitet die Seelsorge für Seelsorgende, also für Priester und Menschen in pastoralen Diensten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er beobachtet, wie Burn-out und Depressionen, aber auch Schlaganfälle und Herzinfarkte bei Pfarrern und Pastoren zunehmen - und zwar schon bei Jüngeren. Für Schmitz ist das ein Zeichen permanenter Überlastung.
Und die Situation dürfte sich noch verschärfen: "Bis 2030 wird es 25 Prozent weniger Pfarrer und pastorales Personal in den Kirchengemeinden und der Seelsorge in den Diözesen geben, bis 2040 rund 50 Prozent weniger", sagt Schmitz. Ein Grund dafür sind die Kirchenaustritte mit allen Folgen: Weniger Einnahmen aus der Kirchensteuer, teils radikale Einsparungen ähnlich wie bei den Landeskirchen, größere Gemeindegebiete und ausbleibender Nachwuchs.
In der Konsequenz verändert sich das Berufsbild von Pfarrerinnen und Pfarrern. Ausgebildet als Gemeindeseelsorger, die sich um Alte und Junge in der Gemeinde kümmern, sähen sich viele heute überwiegend mit Verwaltungsaufgaben konfrontiert. "Der Pfarrer wird immer mehr zum Organisator, aber das Geistliche kommt zu kurz", sagt Eckehard Möller, Vorsitzender des Verbands Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer. Viele versuchten, diesen Spagat aus Anforderung und Berufung hinzubekommen.
Beinahe als Kränkung erlebten manche die Kirchenaustritte, berichtet Möller. "Das muss man erst mal verkraften", sagt er, "dass Menschen die Kirche verlassen, obwohl ich mich engagiere". Viele sähen vor diesem Hintergrund ihre Arbeit als "eine gewisse Vergeblichkeit". Durchstehen könnten dies jene, die sich mehr als Multiplikator verstünden, Aufgaben delegierten, ein Netz aus Ehrenamtlichen aufbauten.
Das sehe sie vor allem bei jüngeren Pfarrerinnen und Pfarrern, berichtet Dagmar Kreitzscheck. Die wären durchaus einverstanden mit einer Aufgabenteilung, in der eine Person im Team die Seelsorge übernimmt, eine andere die Verwaltung und eine dritte den Religionsunterricht. Kreitzscheck leitet das Haus Respiratio auf dem bayerischen Schwanberg. Von dort kann sie das 20 Minuten entfernt liegende Kloster Schwarzach sehen, das mit dem angeschlossenen Haus Recollectio Mitarbeitende der katholischen Kirche bei Krisen stärkt. Regelmäßig tauschen sich die Teams beider Häuser aus. Noch. Denn Kreitzschecks Haus muss Ende Juni 2026 schließen.
Die Abgrenzung ist wichtig
Auch Kreitzscheck erlebt, dass Depressionen und Burn-out-Fälle in den Kirchen zunehmen, "aber nicht mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt, vielleicht sogar darunter". Zwar führten äußere Gründe wie die strukturellen Änderungen und die zunehmende Personalnot durchaus zu Überlastungen bis hin zum Burn-out. Aber Pfarrerinnen und Pfarrer hätten gerade durch ihren Glauben ein Instrument für Resilienz an der Hand. Kreitzschecks Erfahrung nach erkrankten vor allem jene, die sich nicht abzugrenzen gelernt hätten. Menschen mit Empathie, auch für sich selbst, und einem emotionalen Know-how, was sie benötigten, gerieten viel seltener in die Abwärtsspirale aus Überlastung und Depression.
Guido Depenbrock, Leiter des kirchlichen Therapieangebots Inspiratio im Kloster Barsinghausen bei Hannover sieht aber auch die Kirche selbst in der Pflicht: Dort fehle "die Vorstellung, wo sie in zehn Jahren stehen will, das verunsichert viele", sagt er. Manche fragten sich, ob Gott in der Gesellschaft überhaupt noch eine Rolle spielen werde. "Solche Fragen legen sich bei manchen wie Mehltau auf die Stimmung." Kloster Barsinghausen bietet Betroffenen eine sechswöchige Auszeit an mit Gesprächen, geistlicher Begleitung, Körperarbeit und Sport.
Um sich davon zu befreien, sieht Seelsorger Schmitz nur eine Lösung: Betroffene müssten sich auf die Veränderungsprozesse einlassen, sich spirituell gut verankern, viele Erwartungen aussortieren und Mut zur Lücke aufbringen. "Wer es schafft, wach im Augenblick zu leben, geht viel leichter mit der Situation um."
Hier finden Sie Hilfe
- Therapiezentrum Respiratio: 09323/32250, mail@respiratio.de
- Seelsorge für Pastorale Dienste / Priesterseelsorge in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Geschäftsstelle: Renate Borchardt, 0711/505309-25, seelsorge-pastorale-dienste@drs.de
- Inspiratio im Kloster Barsinghausen: 05105/809653-0, info@inspiratio-barsinghausen.de
- Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland, Vorsitzender Eckehard Möller: 0351/2565-1698, vorsitz@pfarrerverband.de