Kaum ein evangelischer Theologe hat so weitreichend in Kirche und Gesellschaft hineingewirkt wie der NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg begeht seinen 80. Todestag am 9. April mit einer Reihe von Veranstaltungen. Die Gedenkfeiern fallen in eine kontroverse Zeit: Evangelikale Gruppen in den USA würden versuchen, Bonhoeffer und sein Werk für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, sagte KZ-Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Skriebeleit, die Veranstaltungen zum Gedenken für Bonhoeffer stehen unter dem Motto "Wem gehört Bonhoeffer?" Warum braucht es eine Neujustierung?
Jörg Skriebeleit: Bonhoeffer ist spätestens seit den 1970er Jahren eine Ikone, die von unterschiedlichen Gruppen vereinnahmt wird. Für mich am unerträglichsten ist, was die evangelikale Rechte macht, weil dies nicht nur eine Vereinnahmung ist, sondern eine komplette Umzeichnung und Instrumentalisierung der historischen Figur Bonhoeffer und auch seiner Theologie.
Bonhoeffer als Projektionsfläche - Versuche, sich auf das Symbol Bonhoeffer zu beziehen, hat es vorher auch schon gegeben.
Skriebeleit: Bonhoeffer wurde über Jahrzehnte von ganz unterschiedlichen Richtungen entdeckt und gedeutet. Ich erinnere an den 40. Jahrestag seiner Ermordung im Jahr 1985, wo sowohl der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner mit hochrangigen Militärs als auch die kirchliche Friedensbewegung zur Gedenkstätte kamen. Man kann feststellen: Da wird ein Symbol von extrem unterschiedlichen Haltungen vereinnahmt, oder sie beziehen sich darauf. Konservative Militärs unter Wörner zum Nato-Doppelbeschluss haben Bonhoeffer genauso für sich beansprucht wie die mit lila Kirchentagstüchern ausgestatteten Friedensbewegten.
Wie bewerten Sie als Gedenkstättenleiter diese neue Form der Instrumentalisierung?
Skriebeleit: Nicht nur in der Gedenkstätte, sondern auch in Bonhoeffer-affinen, evangelischen Kreisen in Bayern und Deutschland ist es lange unbemerkt geblieben, wie Bonhoeffer, seine Person und das Symbol, eine neue Aufladung bekommen hat durch evangelikale Gruppen aus den USA. In Flossenbürg ist das zum ersten Mal sichtbar geworden im April 2019 unter dem damaligen US-Botschafter Richard Grenell. Er ließ eine Gedenktafel aufstellen, die den Namen des damaligen und jetzt wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump trägt und von unserer Seite nicht zu verhindern war, jedoch deutlich abgemildert wurde.
Und jetzt gibt es die aktuelle Diskussion um den neuen Bonhoeffer-Film, der in die Kinos kommt. Dieser Spielfilm mit seinen fiktionalen Elementen ist nicht das eigentlich Problematische, sondern wie er vom evangelikalen Filmvertrieb nochmal neu aufgeladen wird. Dabei finden eine Umdeutung und Verzerrung des Symbols Bonhoeffer statt.
Zum 80. Todestag gibt es eine ganze Reihe von Veranstaltungen in Flossenbürg. Wie wollen Sie solche fatalen Vereinnahmungen bewusst machen?
Skriebeleit: Wir haben hier zwei Jugendbegegnungen, eine bayerische und eine internationale, einen großen Fernsehgottesdienst der evangelischen Landeskirche, eine Veranstaltung mit der Evangelischen Akademie Tutzing, der Internationalen Bonhoeffer Gesellschaft und der KZ-Gedenkstätte. Das alles steht dezidiert unter dem Label "Wem gehört Bonhoeffer?" Wir versuchen, die historische Person und das Symbol Bonhoeffer zu dekonstruieren und dabei den Mensch Dietrich Bonhoeffer wieder zurückzuholen.
Wenn sich aber erst einmal ein falsches Bild im Kopf festgesetzt hat …
Skriebeleit: Vielleicht sollte man T-Shirts drucken, die Bonhoeffer in Che-Guevara-Optik oder Mahatma-Ghandi-Optik zeigen. Bonhoeffer jetzt mit der Knarre in der Hand zu präsentieren, wie es auf dem evangelikalen Film-Plakat geschieht, arbeitet mit genau diesen Mitteln. Man nimmt ein Symbol und lädt es auf. Wir müssen es spielerisch und ironisch zurückholen, um zu zeigen, was mit der Figur Bonhoeffer seit geraumer Zeit passiert.
Wer ist denn Bonhoeffer? Niemand, der sich auf ihn bezieht, weiß letztlich, wer Bonhoeffer wirklich war. Aber dass er für seine urchristlichen und urhumanistischen Ideale sowie für seine Haltung gegen Totalitarismus und Antisemitismus hier in Flossenbürg ermordet worden ist, das ist der Mensch Dietrich Bonhoeffer. Es ist unsere Aufgabe als Gedenkstätte, alle Symbolisierungen und Instrumentalisierungen kritisch zu hinterfragen, um dem Mensch gerecht zu werden.