Käßmann: "Nicht schweigen, nicht wegducken!"

Auschwitz-Birkenau Tor
Daniel Schäfer/Daniel Schaefer
Die Gleise zum ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Appell zum Auschwitz-Gedenken
Käßmann: "Nicht schweigen, nicht wegducken!"
80 Jahre nach der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz haben prominente Vertreter:innen aus Kirche und Politik zu einer zeitgemäßen Erinnerungskultur aufgerufen. Rabbiner Lengyel mahnte, nicht tatenlos zuzusehen.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte am Sonntag in Berlin, es würden mehr gesellschaftliche und politische Initiativen gebraucht, die Besuche in Auschwitz und an anderen authentischen Orten der NS-Verbrechen unterstützen und ermöglichen. "Wer einmal in Auschwitz war, der versteht, warum die Erinnerung an die Schoah keine Parallelen haben kann."

Der 27. Januar ist seit 2005 internationaler Holocaust-Gedenktag. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen das NS-Vernichtungslager Auschwitz. In diesem Jahr jährt sich die Befreiung zum 80. Mal.

Der Jahrestag mache bewusst, "dass wir immer weniger Zeitzeugen der Schoah erleben werden und können", betonte Schuster. Die noch lebenden Zeitzeugen sind inzwischen hochbetagt. Schuster will am Montag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der zentralen Gedenkfeier in Auschwitz teilnehmen.

Die Theologin Margot Käßmann sagte bei einer Matinee am Sonntag in Hannover, angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien sei es nicht möglich, sich beruhigt zurückzulehnen. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erklärte: "Es wird so gern und locker dahergesagt: 'Nie wieder ist jetzt!' Aber ich denke, das wird gar nicht ernst genug genommen." Die Lektion müsse sein, nicht zu schweigen und sich nicht wegzuducken.

In der Matinee erinnerten die hannoversche Landeskirche, die Friedrich-Ebert-Stiftung, Gewerkschaften und Bildungsträger an die Befreiung des Vernichtungslagers, in dem mindestens 1,1 Millionen Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden. Redner waren dabei auch der hannoversche Rabbiner Gabor Lengyel und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

Lengyel warnte, die besonderen ideologischen Grundlagen des Antisemitismus würden aus dem Bewusstsein verdrängt und Begriffe wie Genozid und Vernichtung auf Israel übertragen. Ein Problem sei, dass viele Menschen im Land nicht direkt betroffen seien. "Es ist doch so: Wenn morgen die AfD regiert, dann müssen sich viele Menschen kaum Sorgen machen, weil sie Weiße und Deutsche sind. Was für einen Grund sollte es für diese Leute geben, für ein 'nie wieder ist jetzt' einzutreten?"

Das Böse und der Hass gingen nicht allein von Diktatoren und Rassisten aus, warnte der Rabbiner. Der Verlust von Demokratie werde "von den Schweigenden, von den Leisen, von den Gefühllosen ermöglicht", mahnte Lengyel: "Hass und Ausgrenzung werden möglich durch jene, die zuschauen, die tatenlos danebenstehen."

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, lehnte die Forderung, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen, im Gespräch mit der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Montag) als "unsinnig" ab. "Die unfassbaren Verbrechen der NS-Zeit, die industrielle Ermordung von Millionen Menschen gehören zur deutschen Geschichte und prägen unser Verständnis von Demokratie, Freiheit, Recht und Unrecht und damit unsere ganze Gesellschaft bis heute", unterstrich Klein.

Klein nannte jüdisches Leben in Deutschland heute so gefährdet "wie seit der Shoah nicht mehr". Bis vor kurzem sei der Ruf nach einem Schlussstrich hauptsächlich von Rechtsaußen gekommen, doch mittlerweile auch von Linksaußen in Bezug auf den Nahostkonflikt, erklärte Klein und verwies auf einen Höchststand von antisemitischen Straftaten.

Antisemitismus wende sich nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern sei Ausdruck einer "zutiefst demokratiefeindlichen Haltung". Ein wesentlicher Schlüssel dagegen sei die Erinnerungskultur. "Ich bin der festen Ansicht: Zukunft kann nur gestalten, wer seine Vergangenheit kennt", erklärte Klein.