Long Covid: Eine Krankheit, viele Symptome

Edith Gerlach in einem Ruheraum einer Evangelischen Gemeinde in Giessen.
epd-bild/Tim Wegner
Edith Gerlach in einem Ruheraum einer Evangelischen Gemeinde in Giessen.
Nach der Pandemie
Long Covid: Eine Krankheit, viele Symptome
Vor fünf Jahren, im Januar 2020, wurde der erste Corona-Fall in Deutschland registriert. Mit dem Virus kam auch ein neues Krankheitsbild: Long Covid. Patienten leiden unter Erschöpfung, Schmerzen oder kognitiven Störungen. Viele sind verzweifelt.

Die Corona-Infektion fühlte sich für Edith Gerlach an wie eine "dicke Erkältung". "Aber zwei Wochen später kam ich keine Treppe mehr hoch", erzählt die 45-Jährige. Ihre Hausärztin hegte schnell den Verdacht, dass es Long Covid sein könnte und schickte sie zum Durchchecken ins Krankenhaus. Die Ärzte fanden nichts, "außer, dass ich komplett unbelastbar war". Heute, gut zwei Jahre später, kann Gerlach nicht mehr arbeiten, nur an manchen Tagen Auto fahren. Haushalt, Kinder - fast alles übernimmt ihr Mann.

Wenige Monate nach dem ersten bestätigten Corona-Fall in Deutschland am 28. Januar 2020 gab es bereits Hinweise auf längerfristige Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Die Fachleute nennen es Long Covid oder Post Covid, je nachdem, wie lange die ursprüngliche Covid-Erkrankung zurückliegt. Mittlerweile rechnen Experten mit mehr als einer Million Long-Covid-Erkrankten in Deutschland.
In einem gemütlichen Raum in der Stadtmitte von Gießen treffen sich an diesem Wintertag einige Mitglieder der örtlichen Long-Covid-Selbsthilfegruppe. 50 Leute gehören der Gruppe an - aber längst nicht jeder und jede schafft es zu den Treffen.

Guido Bock ist allein da. Seine Frau erkrankte vor zwei Jahren an Covid-19. "Sie hat sich davon nicht mehr erholt", sagt er. Heute sei die Mittfünfzigerin ein Pflegefall, ihr Mann der Pfleger. Beide sind Ärzte. Seine Frau arbeitet längst nicht mehr, Guido Bock wechselt jetzt die Stelle, um flexibler zu sein. Er erzählt: Seine Frau leide unter stärksten Schmerzen, sie nehme Schmerzmittel, ihr Tag-Nacht-Rhythmus sei verschoben. Nach kleinsten Belastungen, etwa Arztterminen, sei sie tagelang entkräftet. "Anfangs haben wir gedacht, man trainiert halt ein bisschen. Bis wir merkten: Durch Belastung wird es immer schlimmer."

Der Marburger Kardiologe Bernhard Schieffer erklärt, dass etwa 100 verschiedene Symptome mit Post Covid in Verbindung stehen. Zu den häufigsten gehörten anhaltende Müdigkeit, reduzierte Leistungsfähigkeit, Nervenbeschwerden sowie kognitive Störungen. Schieffer, der die Post-Covid-Ambulanz am Universitätsklinikum Marburg leitet, berichtet, dass die Ambulanz bis zum Sommer vollständig ausgebucht ist. Zeitweise standen tausende Patienten auf der Warteliste, viele von ihnen in großer Verzweiflung.

"Wir haben in allen Selbsthilfegruppen enormen Zulauf", berichtet die Vorsitzende des Vereins ME-Hilfe, Gritt Buggenhagen. Die Multisystemerkrankung ME/CFS tritt etwa bei der Hälfte der Long-Covid-Patienten auf. Betroffene hätten mit Stigmata zu kämpfen, erklärt Buggenhagen, viele erhielten Fehlbehandlungen wie Psycho- oder Aktivierungstherapien. In den Gruppen höre sie häufig: "Seit der Reha geht gar nichts mehr." Viele seien durch den Rat, mehr Sport zu treiben, tiefer in die Krankheit gerutscht.

Long Covid wird von Gesellschaft nicht verstanden

Der Wissenschaftler Schieffer betont, dass trotz intensiver Bemühungen nach wie vor erhebliche Herausforderungen bei der Behandlung von Post-Covid-Patienten bestünden. Bisherige medikamentöse Ansätze hätten sich als erfolglos erwiesen. Allerdings zeichneten sich neue, vielversprechende Forschungsansätze im Bereich der Immunologie sowie der Kardiologie ab, die das Herz-Kreislaufsystem beträfen. "Ich bin zuversichtlich, dass wir in fünf Jahren eine standardisierte Diagnostik und Therapie für Post-Covid entwickeln werden", sagt Schieffer.

Die Leute aus der Gießener Selbsthilfegruppe sagen: Long Covid werde von der Gesellschaft nicht verstanden. Die Krankheit passe in kein Schema. Bei etlichen aus der Gruppe verschlechtere sich die Gesundheit. Guido Bock berichtet, dass einige Bekannte "erschrocken" reagierten. Kontakte brächen weg. "Es ist ein furchtbarer Zustand. Man verschwindet von der Bildfläche."

Christoph Sander (Name geändert) schildert, wie auch er zwei Jahre nach seiner Corona-Infektion noch immer nicht wieder auf die Beine kommt. Das Ehrenamt beim Sanitätsdienst gab er auf, vom Sportverein meldete er sich ab. "Aus dem Urlaub komme ich raus, wie ich reingegangen bin." Jetzt seien seine Rest-Urlaubstage, mit denen er sich durch den Arbeitsalltag gehangelt habe, aufgebraucht. Wie es weitergeht, weiß er nicht.

Ute Noll, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle der Gießener Allgemeinen Zeitung in Giessen.

Es gibt auch Mut machende Beispiele. Ute Noll sagt: "Von Anfang an war ich rundum gut versorgt. Ein Glücksfall." Anfang 2021 erkrankte sie schwer am Coronavirus: Notarzt, Krankenhaus, Corona-Station. Aber schon damals kam zweimal am Tag eine Physiotherapeutin zu ihr. In der Reha lernte sie, sich damit abzufinden, dass bestimmte Dinge nicht mehr gehen. Sie habe angefangen, genau zu überlegen, "wo ich meine Kraft einsetze".

"Pacing" heißt diese Strategie, die eigenen Energiereserven zu managen. Auch Edith Gerlach musste lernen, sehr gut auf ihren Körper zu hören, regelmäßig Puls und Atem zu kontrollieren. Ein kleiner Druck im Auge zeige an, wenn Überlastung drohe, sagt sie. Dann packt sie schnell ihre Sachen zusammen und geht.