Fehrs: ForuM-Studie ist wichtiger Schritt

Die Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck
epd-bild/Daniel Peter
Für die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs ist die Studie ein wichtiger Impuls für Prävention und Aufarbeitung.
Ein Jahr ForuM-Studie
Fehrs: ForuM-Studie ist wichtiger Schritt
Ein Jahr nach Veröffentlichung der "ForuM"-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bilanzieren Vertreter:innen von Kirche und Diakonie gemeinsam mit betroffenen Personen deren Folgen. Die Studie sei ein wichtiger Impuls und Ausgangspunkt für weitere Schritte der Aufarbeitung und Prävention zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, so EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs. Die konkret entwickelten Maßnahmen seien entschlossen umzusetzen.

"Die Erkenntnisse, die uns die Studie vor einem Jahr geliefert hat, bewegen uns bis heute. Und das meine ich sowohl im emotionalen als auch im ganz realen Sinn. Wir arbeiten ja schon seit Jahren an notwendigen Richtlinien und Standards für Aufarbeitung und Prävention, nun aber tun wir es auf anderer wissenschaftlicher Grundlage", so die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs. In einer Pressemitteilung, die evangelisch.de vorliegt betont Bischöfin Fehrs, die Schlussfolgerungen aus der Studie hätten Steine ins Rollen gebracht.

"Ein Jahr nach Veröffentlichung der ForuM-Studie können wir sagen, dass wir mit dem im November beschlossenen Maßnahmenplan einen großen Schritt weitergekommen sind und uns damit weiter auf dem Weg befinden, in Haltung und Strukturen eine Kulturveränderung voranzubringen. Dies verdanken wir vor allem der intensiven Mitarbeit von betroffenen Menschen im Beteiligungsforum, denen ich an dieser Stelle noch einmal meinen großen Respekt zollen möchte", so Fehrs.

Auch wenn der gewünschte Kulturwandel Zeit brauche, sei dennoch klar: 'Wir wollen diesen Wandel!' Prävention und Aufarbeitung blieben für Bischöfin Fehrs auf allen Ebenen der Kirche und der Diakonie eine konsequent weiter zu bearbeitende Aufgabe. Detlev Zander, Sprecher aus der Gruppe der betroffenen Personen im Beteiligungsforum fügt hinzu: "Das war ein hartes Stück Arbeit. Aber auch eine wichtige Chance, die Arbeit der EKD in den nächsten Jahren entscheidend mitzubestimmen und immer wieder die Perspektive von betroffenen Personen einzutragen." Der Maßnahmenplan wurde von den Gremien der EKD, zuletzt durch die Synode im November 2024, angenommen und beschlossen.  

Wüst: "Wissen aus Studie wird in Präventionsstandards einfließen."

Die beiden ersten großen Maßnahmen, die in 2025 angegangen werden, sind eine umfangreiche Novelle der Gewaltschutzrichtlinie der EKD und die Errichtung einer zentralen Ombudsstelle für betroffene Personen. Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum sagt: "ForuM hatte zum Ziel Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu identifizieren. Und genau dieses neue Wissen lassen wir jetzt in unsere Präventionsstandards einfließen. Dazu unterziehen wir die mittlerweile sechs Jahre alte Gewaltschutzrichtlinie der EKD einer grundlegenden Novelle."

Janz: "Studie hat nicht überall in der Kirche den nötigen Ruck ausgelöst!"

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, unterstreicht: "Die Diakonie bekennt sich klar zur Aufarbeitung, Anerkennung, Prävention und Intervention für alle Fälle sexualisierter Gewalt. Wir haben dazu Regelungen erarbeitet, die für unseren gesamten Verband verbindlich werden." Für Nancy Janz, Sprecherin der Gruppe der betroffenen Personen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD, fällt die Bilanz zweigeteilt aus: "ForuM war ein notwendiger Schritt und ist eine gute Grundlage, um in der Aufarbeitung weiterzukommen. Viele betroffene Personen haben sich auch nach der Veröffentlichung neu gemeldet, aber es bleibt noch sehr viel zu tun und leider habe ich nicht überall in der Kirche den Ruck verspürt, den ForuM hätte auslösen sollen."

Hoffmann-Borggrefe: "Wiedergutmachungsleistungen nehmen nicht die Zerstörung der Seelen der Betroffenen in den Fokus."

Für den ehemaligen Kirchenmusikdirektor aus Hamburg, Matthias Hoffmann-Borggrefe, hat die erste übergreifende Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche (ForuM) für Betroffene wenig verändert. "Mir sind finanzielle Wiedergutmachungsleistungen nicht angemessen. Sie nehmen nicht die Zerstörung der Seelen der Betroffenen in den Fokus", sagte Hoffmann-Borggrefe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der 61-Jährige war 1984 in seiner Ausbildung zum Kirchenmusiker an der Robert-Schumann-Musikhochschule in Düsseldorf von seinem damaligen Professor vergewaltigt worden. Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte den Fall 2011 anerkannt.

Die Wiedergutmachungsleistungen für Betroffene sind laut Matthias Hoffmann-Borggrefe nicht angemessen.

Bis heute leide er an den Folgen, seit 13 Jahren mache er eine Traumatherapie, sagte Hoffmann-Borggrefe. "Aufgrund meiner psychischen Erkrankung bin ich mittlerweile schwerbehindert und kann nicht mehr arbeiten. Meine Seele ist unheilbar verwundet." Hoffmann-Borggrefe ist bereits mit der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs im Gespräch über Orte des spirituellen Trostes oder einen Gottesdienst für Betroffene. "Der Gottesdienst könnte der Seelsorge dienen, das ist ja etwas, was Kirche eigentlich sehr gut können müsste", erklärt Hoffmann-Borggrefe.

Meister: "Schutzbedürftige in Mittelpunkt der christlichen Botschaft stellen."

Konkrete Vorhaben sind nach Angaben der Bischofskanzlei bislang aber noch nicht geplant. Der Hannoveraner Bischof Ralf Meister regte kürzlich die Einführung eines Sonntags für Betroffene nach dem Vorbild der "Church of England" an. Mit Texten und Gebeten sollen die Gemeinden für die Situation von Schutzbedürftigen sensibilisiert werden. "Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Schutzbedürftige im Mittelpunkt der christlichen Botschaft stehen", sagte Meister.

Springhart: "Es bleibt eine Herausforderung, an allen Stellen genau hinzusehen."

"Im Umgang mit sexualisierter Gewalt haben wir als Landeskirche und Diakonie einen Lernweg zurückgelegt. Dennoch haben wir noch viel vor uns, um zu einem betroffenengerechten und opfersensiblen Umgang mit sexualisierter Gewalt zu kommen", betont Heike Springhart, Landesbischöfin der Evangelischen Landeskirche in Baden, ein Jahr nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie. "Es bleibt eine Herausforderung, an allen Stellen genau hinzusehen, Herz und Verstand zu öffnen für die Gewalt, die Menschen in der Diakonie und in der Kirche zugefügt wurde und auch noch zugefügt wird und entsprechend zu handeln." 

Die von der Evangelischen Kirche in Deutschland in Auftrag gegeben ForuM-Studie war am 25. Januar 2024 veröffentlicht worden. Demnach waren zwischen 1946 bis 2020 bundesweit mindestens 2.225 Menschen von sexueller Gewalt in Kirche und Diakonie betroffen. Der Studie zufolge ist von 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Die Zahlen seien allerdings in einer "sehr selektiven Stichprobe" ermittelt worden und bildeten keineswegs das Ausmaß sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie ab, hieß es damals.

Im Jahr 2024 wurde mit der Verabschiedung einer Reform des kirchlichen Disziplinarrechts, die betroffenen Personen mehr Rechte gibt, dem Start der Vernetzungsplattform "BeNe" für betroffene Personen und dem Entwurf für eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Anerkennungsverfahren für betroffene Personen weitere wichtige Schritte getan. In der Diakonie wurde zudem eine verbindliche "Rahmenbestimmung zum Schutz vor und zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt" erarbeitet, die im gesamten Verband umgesetzt werden soll.