"Wer liebt, kommt zurück", sagt die Mutter des Kommissars. Erst sehr viel später stellt der sechste Saarbrücker "Tatort" mit dem Duo Hölzer und Schürk die eigentlich naheliegende Frage: Würde, wer liebt, gar nicht erst weggehen? Tatsächlich ist "Das Ende der Nacht" ein zweifaches Familiendrama, auch wenn darauf anfangs nichts hindeutet.
Der Film beginnt mit einem Haufen Geld und dem Abba-Klassiker "Money, Money, Money": In einem Spielcasino werden die Einnahmen gezählt, verpackt und in einen Geldtransporter geladen. Kurz drauf wird das Fahrzeug gestoppt. Der Überfall ist perfekt ausbaldowert, aber wie immer im Krimi kommt was dazwischen: Als das Auto nach der Sprengung der Hecktüren teilweise in Flammen steht, verliert der Beifahrer die Nerven, steigt aus und wird Opfer einer nicht geplanten zweiten Explosion.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich steht der nur leicht verletzte Fahrer prompt im Verdacht, mit den Gangstern unter einer Decke zu stecken, zumal er den gleichen Nachnamen hat wie ein berüchtigter Familienclan; aber die Dinge sind viel komplizierter.
Schon in "Die Kälte der Erde" (2023), ihrem ersten Drehbuch überhaupt für einen Sonntagskrimi im "Ersten", hat Melanie Waelde die horizontal erzählte Geschichte der beiden Freunde und Partner geschickt mit einem aktuellen Fall verknüpft (es ging um die "Hooligan"-Szene). Diesmal scheint Schürks Jugend und sein Leiden unter einem gleichermaßen tyrannischen wie verbrecherischen Vater bloß eine Nebenebene zu bilden, um zu erklären, warum den Kommissar stets eine derart düstere Aura umgibt, aber auf überraschende Weise zeigt sich schließlich, dass die Vergangenheit erneut die Gegenwart beeinflusst. Zunächst entwerfen Waelde und Regisseurin Tini Tüllmann, die zuletzt mit "Spur des Blutes" (2022) einen mehr als sehenswerten "Tatort" aus Köln über den Mord an einer jungen Prostituierten gedreht hat, ein Szenario, das nach Frankreich führt.
Für den Raubüberfall ist offenbar ein europaweit agierendes Ehepaar verantwortlich, das seine Verbrechen zu nummerieren pflegt, denn auf dem Asphalt steht die Zahl 73; die Raubzüge Nummer 71 und 72 fanden in Lyon statt. Die Tochter der Radeks, Carla (Lena Urzendowsky), lebt seit einiger Zeit in Saarbrücken, hat aber, wie sie glaubwürdig versichert, keinen Kontakt zu ihren Eltern, seit die sie als Elfjährige vor zehn Jahren bei Nachbarn abgegeben haben und für immer aus ihrem Leben verschwunden sind.
Aber Carla hofft auf ein Wiedersehen: "Wer liebt, kehrt zurück". Als ihre zwischenzeitlich verwitwete Mutter (Sabine Timoteo) wirklich wieder auftaucht, nimmt die Handlung eine doppelte Wende: Kommissarin Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer), die ohnehin wegen ihrer eigenen Dämonen unter enormem Druck steht, wird von Béatrice Radek als Geisel genommen und entführt.
Theoretisch müsste der Film nun doppelt spannend sein, denn der als Thriller inszenierte Raubüberfall ist nach wie vor ungeklärt, und natürlich bangen die beiden Freunde um das Leben ihrer Kollegin. Stattdessen wandelt sich "Das Ende der Nacht" jedoch zum Drama, denn nun müssen Mutter und Tochter erst mal wortreich ihre Differenzen klären.
Abgenutzt ist mittlerweile auch die Konstellation des Kommissarduos als "guter Bulle, böser Bulle": Leo Schütz (Vladimir Burlakov), der Chef des Quartetts, hat eine wesentlich längere Zündschnur als sein aufbrausender Partner. Die allzu demonstrativ zur Schau gestellte nihilistische Haltung von Schürk wirkte ohnehin von Anfang an wie eine Attitüde. Die Aussage seiner Mutter, er sei wie sein krimineller Vater, nur eben Polizist, bringt ihn immerhin auf die richtige Spur, als er sich fragt, ob Carla wohl auch wie ihre Mutter geworden sei.
Dank eines vereitelten Fluchtversuchs der Geisel sowie einer Verfolgungsjagd im Wald ist der deutliche Spannungsabfall zu Beginn des letzten Akts glücklicherweise nur vorübergehend, zumal es schließlich zum dramatischen Finale in einem Bunker kommt. Den Schluss der Geschichte lassen Waelde und Tüllmann allerdings offen: Der Film endet mit einem schockierenden Cliffhanger, der doppelt gemein ist, weil das Team aus Saarbrücken ja nur einmal pro Jahr ermittelt.
Sehenswert ist der sommerliche Krimi auch wegen der sorgfältigen Bildgestaltung (Max Preiss), die mit ihren freundlichen Pastellfarben einen reizvollen Kontrast zur stellenweise düsteren Handlung bildet. Hörenswert ist auch die Action-Musik (Jasmin Reuter, Tina Pepper), die gegen Ende mit einer Mischung aus Ironie und Melancholie den Abba-Hit vom Auftakt als Pianoversion in die Komposition integriert.