Vor einem Jahr ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gestorben. Die ARD hat damals einen Film mit dem schlichten Titel "Beckenbauer" gezeigt. Das ist auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, allerdings stand der Ausstrahlungstermin bereits Wochen vorher fest; ein bizarrer Zufall. Der neunzigminütige Dokumentarfilm ließe sich mit der Überschrift "Lichtgestalt mit Schattenseiten" zusammenfassen. Philipp Grüll und Christoph Nahr erzählten mit Hilfe diverser Weggefährten die Lebensgeschichte des "Kaisers", boten aber nur wenig Mehrwert.
Anlässlich von Beckenbauers Todestag zeigt Arte nun eine dreiteilige Dokumentation, über die sich im Grunde das gleiche sagen lässt. Torsten Körner (Jahrgang 1965), für "Schwarze Adler" (2021) über Rassismus im Fußball mit dem Grimme-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und dem Robert-Geisendörfer-Preis geehrt, hat dem ARD-Film nicht viel hinzuzufügen, was nicht weiter überrascht. Über keinen anderen deutschen Kicker ist auch nach dem Ende seiner aktiven Karriere so oft berichtet worden: Beckenbauer ist nicht nur das Kunststück gelungen, sowohl als Spieler wie auch als Trainer Weltmeister zu werden; spätestens mit der WM 2006 in Deutschland, hernach als "Sommermärchen" verklärt, hat er sich in den Herzen der Fans unsterblich gemacht. Bei der Vergabe des Turniers ist jedoch mutmaßlich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Unter anderem hat eine erkleckliche Millionensumme den Besitzer gewechselt. Die Hintergründe sind bis heute nicht geklärt, was Beckenbauers Ansehen erheblich beschädigt hat.
Wie die Kollegen Grüll und Nahr schildert Körner den unaufhaltsamen Aufstieg des Jungen aus München-Giesing bis in den Fußball-Olymp. Hier wie dort bilden die WM-Turniere 1966, 1970 und 1974 das Gerüst des Films, hier wie dort wird nicht nur die Entwicklung des westdeutschen Fußballs, sondern auch die Geschichte der Bundesrepublik erzählt. Beckenbauer und Günter Netzer verkörperten in den Siebzierjahren nicht nur eine neue Art, Fußball zu spielen, sie waren auch die ersten, die ihre Prominenz als Popstars erfolgreich vermarkten konnten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Selbst die Zeitzeugen sind die gleichen, was ebenfalls nicht überrascht. Wer wissen will, wie der "Kaiser" als Kind war, spricht am besten mit seinem Bruder Walter, der noch mal erzählt, was ihnen die Mutter mit auf den Lebensweg gegeben habe: "Der Mensch ist wichtig", nicht seine Religion oder seine Hautfarbe. Netzer und Uli Hoeneß haben gemeinsam mit Franz gekickt, Jürgen Klinsmann ist mit ihm als Teamchef 1990 in Italien Weltmeister geworden. Die Franzosen Michel Platini und Didier Deschamps haben als Spieler und Trainer ganz ähnliche Karrieren erlebt und können Beckenbauers Leistungen entsprechend würdigen. Beide heben vor allem seine Eleganz hervor: "Der Ball war sein Freund", sagt Deschamps.
Auch beim Bildmaterial hat Körner nichts Neues zu bieten. Beckenbauer als Werbefigur, Beckenbauer mit Verband im sogenannten Jahrhundertspiel gegen Italien bei der WM in Mexiko, Beckenbauer bei der WM 1974, als er im Namen der Spieler mit dem DFB die Höhe der Siegprämie verhandelte; mit dem von ihm eingeführten Begriff "Interessengemeinschaft" endete der Mythos von den "elf Freunden". 1977 zog er nach New York, wo er sich endlich frei fühlen konnte. All’ das ist schon vielfach verwertet worden, ebenso wie die meisten zeitgenössischen Interviewausschnitte. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet in einer Produktion fürs ZDF der legendäre Torwandschuss vom Weißbierglas fehlt. Den roten Faden bildet ein aus dem Off eingespieltes Interview aus dem Jahr 2005, das Körner damals vermutlich im Rahmen der Recherche für seine vorzügliche Biografie "Der freie Mann" mit Beckenbauer geführt hat.
Dass "Der letzte Kaiser" trotzdem sehenswert ist, liegt vor allem an der Auswahl der (ausschließlich männlichen) Gesprächspartner. Die interessantesten Beiträge stammen dabei ausgerechnet von Zaungästen, die mit dem Fußball nur als Fans verbunden sind. Gerade Schauspieler Matthias Brandt (Jahrgang 1961) spricht dabei all’ jenen aus der Seele, die wie er ihre Jugend in den Siebzigerjahren verbracht haben und vor wegweisenden Entscheidungen standen: Adidas oder Puma? Geha oder Pelikano? Und vor allem: Bayern oder Gladbach, also Beckenbauer oder Netzer? Für den Sohn Willy Brandts spielte der Libero Fußball wie jemand, "der als Kind in den Zaubertrank gefallen" ist. Nach Ansicht des vielfach ausgezeichneten Kinoregisseurs Christian Petzold (1960) erfüllten beide, Beckenbauer wie auch Netzer, die Sehnsucht der Deutschen nach Grandezza.