Der Besitzer einer Jagdvilla ist erstochen worden. Der Mann war Krimiautor, seine Bücher sind Bestseller. An seinem letzten Abend hatte er zur exklusiven Lesung des jüngsten Werks geladen. Selbstredend sind sämtliche Mitglieder dieses handverlesenen Publikums automatisch verdächtig. Zunächst deutet jedoch alles auf eine Beziehungstat hin: Sasha Fetscher hatte eine Geliebte, und die wird, wie eine englische Redewendung lautet, "red-handed" ertappt; mit Blut zwar nicht an ihren Händen, aber auf dem Nachthemd. Sie räumt ein, den Autor in dessen Schlafzimmer heimgesucht zu haben, hat jedoch einen kompletten Filmriss und weiß bloß noch, dass sie mit einem Messer in der Hand aufgewacht ist; da war Fetscher bereits tot. Die Obduktion ergibt zudem, dass er keineswegs an der Stichwunde gestorben ist: Der edle Wein, von dem seine Freundin nur zwei Schlucke genommen hatte, enthielt ein Nervengift.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auf den Inhalt reduziert, klingt "Nachtschatten" wie ein handelsüblicher TV-Krimi, inklusive diverser weiterer Verdächtiger. Natürlich hätte auch die Witwe des Opfers ein Motiv, denn wie sich rausstellt, hat sich der prominente Schriftsteller mit Federn geschmückt, die eigentlich ihr zustehen. Die Bücher beruhen auf authentischen Fällen, die er sorgfältig recherchiert hat, aber zum Schreiben fehlte ihm jegliches Talent, wie die ersten Seiten seines nächsten Werks verdeutlichen: Die Verfasserin der Romane ist Emily Fetscher (Marie-Christine Friedrich). Sie wollte endlich aus dem Schatten des Gatten treten und als gleichwertige Autorin genannt werden. im Rahmen der Lesung sollte Sasha die Nachricht kundtun, doch dann folgte eine Demütigung, die durchaus Rachegelüste geweckt haben könnte. Unversehens kommt schließlich auch die Verwalterin der Villa ins Spiel. Die Frau wird von Ulrike C. Tscharre verkörpert, und Krimifans wissen: Wenn in Reihen und Serien prominente Gäste mitwirken, sind deren Figuren stets suspekt.
Das Drehbuch stammt erneut von Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep. Die drei haben mittlerweile nach Timo Berndt (2016 bis 2021) die meisten Vorlagen für "Die Toten vom Bodensee" geliefert; "Nachtschatten" ist bereits der sechste Fall des Trios. Regie führte wieder Michael Schneider. Er hat bis auf zwei Ausnahmen seit 2019 sämtliche Episoden der Reihe inszeniert und dabei zumeist mit dem Kameramann Lukas Gnaiger zusammengearbeitet. Der Österreicher hat auch diesmal wieder für eine ausgezeichnete Bildgestaltung gesorgt. Schon der Auftakt ist ein optischer Genuss, als der Film seinem Titel vollauf gerecht wird: Die Außenansicht bei Nacht und Nebel lässt die Villa wie ein Spukschloss wirken. Die Innenaufnahmen könnten nicht zuletzt dank der wie stets vorzüglichen Musik von Chris Bremus auch aus einem Horrorfilm stammen: Emily erwacht kurz nach Mitternacht durch ein Geräusch, und weil der Strom ausgefallen ist, muss sie im Dunkeln durch das ohnehin düstere Gemäuer tappen.
"Nachtschatten" bezieht sich allerdings auf die gleichnamige Pflanzengattung: In diesem Krimi ist der Gärtner nicht der Mörder, sondern das Opfer. Tatsächlich wird die Handlung zunehmend komplexer. In der zweiten Hälfte entwickelt sich der Film in gänzlich andere Richtungen, und zumindest die zweite ist völlig unvorhersehbar. Beiden Spuren ist allerdings gemeinsam, dass sie in die Vergangenheit führen: Fetscher hatte angekündigt, der ehrwürdigen Villa ein dunkles Geheimnis entlocken zu wollen. Das Gebäude genießt in der Gegend keinen guten Ruf, angeblich treibt hier ein Poltergeist sein Unwesen, außerdem soll es regelmäßig zu mysteriösen Erscheinungen kommen; die Tochter der Verwalterin erspäht bald nach der Mordnacht ein glühendes Augenpaar im Garten. Am Schluss klären Oberländer (Koeberlin) und seine Kollegin Hoffmann (Alina Fritsch) nicht nur den aktuellen Mordfall, sondern auch einen viele Jahre zurückliegenden weiteren, der damals gar nicht als Verbrechen erkannt worden ist.
Über die Ermittlungen hinaus erfreut das Drehbuch durch kleine Ausflüge ins Privatleben des Teams, die mal heiter, mal dramatisch sind. Für die komischen Momente sorgt Hary Prinz: Kollege Komlatschek, von seiner Frau vor die Tür gesetzt und zum Dauercamper geworden, wird allabendlich von Technoklängen in den Schlaf begleitet, bis er dem lautstarken Treiben recht rabiat ein Ende setzt.