TV-Tipp: "Ostfriesennacht"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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28.12., ZDF, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Ostfriesennacht"
Der Film ist inklusive Prolog und Vorspann noch keine neun Minuten alt, da wird der Täter bereits gefasst; der Fall scheint gelöst. Kurz drauf wird der Mann vom Vater des Opfers getötet, somit kann die Akte endgültig geschlossen werden. Da ist "Ostfriesennacht" allerdings gerade mal am Ende des ersten Akts angelangt, es muss also noch was kommen, und so ist es auch:

Doch der Mörder schlägt wieder zu. Das ist als Krimikonzept natürlich nicht neu, aber nun führt Regisseur Johannes Fabrick, dessen Drehbuch wie alle "Ostfrieslandkrimis" auf einer Romanvorlage von Klaus Peter Wolf basiert, eine Figur ein, die die Suche nach dem Serienkiller auf eine andere Stufe verlagert. Dass Ann Kathrin Klaasen (Picco von Groote) dank ihrer kriminalistischen Intuition klüger ist als das BKA, gehört wiederum zu den üblichen Charakteristika solcher Geschichten. 

Aber der Reihe nach: Eine Frau verabschiedet ihren Freund ziemlich unsanft, indem sie ihm nicht nur klare Worte, sondern auch einige Gegenstände an den Kopf wirft. Klaasens Kollege Rupert (Barnaby Metschurat) hält die entsprechenden Verletzungen im Gesicht für Abwehrspuren. Offenbar hat der Mann seine Freundin mit mehreren Messerstichen getötet, und weil er nach einer gezielten Provokation Klaasens prompt ausrastet, sieht auch sie keinen Grund mehr, an seiner Täterschaft zu zweifeln. Zum Krimi wird "Ostfriesennacht", als die Kommissarin auf den Fotos im Internetprofil des Opfers ein Tattoo am Oberschenkel entdeckt, und zwar just dort, wo die Leiche eine Fleischwunde aufweist. Beim zweiten Opfer wiederholt sich dieses Tatmerkmal. Der BKA-Kollege informiert das Kripo-Team über weitere Fälle, die sich im Rest der Republik zugetragen haben. Diesen Frauen wurden ebenfalls Tätowierungen entfernt. Klaasen weiß auch, was damit geschehen ist: Der Mörder hat sie gebraten und gegessen; die Erklärung für diese bizarre Vorliebe ist ziemlich originell. Das BKA hat sogar einen Verdächtigen im Visier, doch der Mann ist ein inkognito im Rheinland lebender saudischer Prinz, der diplomatische Immunität genießt. Rupert setzt eine Kölner Kollegin auf den Königssohn an, der offenbar seine regelmäßigen Besuche im Fitnessstudio nutzt, um sein nächstes Opfer auszuspähen.

Eine zweite Ebene des Films wirkt zunächst wie der übliche Ausflug ins Privatleben des nicht nur beruflich verbandelten Duos Klasing und Weller (Christian Erdmann): Der Kommissar ist stinksauer auf einen vermeintlichen Freund, der ihm eine faule Versicherung für seine Tochter Jule (Lydia Maria Makrides) angedreht hat. Maximilian Fenrich will das wiedergutmachen und lädt Jule zum Essen ein, in dessen Verlauf sie allerlei Gemeinsamkeiten feststellen: Beide sind "Ohrenmenschen" und lieben Hörbücher. Was zunächst wie eine Masche erscheint, wird recht bald zu tiefer gegenseitiger Zuneigung: Jule bezeichnet Max als Liebe ihres Lebens. Weller reagiert auf eine Weise, die sich mit Eifersucht nur unzureichend beschreiben lässt: Er ist regelrecht außer sich und verprügelt Fenrich, was die Tochter in ihren Gefühlen für den doppelt so alten Mann noch bestärkt.

Durch die Besetzung des Versicherungsvertreters mit Matthias Koeberlin wird "Ostfriesennacht" erst richtig interessant, denn natürlich drängt er sich als Verdächtiger geradezu auf. Schauspieler und Regisseur verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Sie begann mit "Der Polizist, der Mord und das Kind" (2018, ZDF), Koeberlin spielte darin einen Opferschutzkommissar, der sich um den Sohn einer ermordeten Frau kümmert. Die Filme des Österreichers Fabrick sind ohnehin meist mehr Drama als Krimi. Das gilt erst recht für seine dreiteilige ARD-Reihe "Hartwig Seeler" (2019 bis 2022) mit Koeberlin als Privatdetektiv, dessen Erkundungen nicht zuletzt der Seele galten. Schon allein wegen dieser Vorgeschichte ist seine undurchschaubare Rolle im ersten "Ostfrieslandkrimi" Fabricks reizvoll, zumal dessen Lands- und Stammkameramann Helmut Pirnat den Versicherungsmakler in den Szenen mit Jule gern aus deutlicherer Untersicht zeigt, als der Größenunterschied rechtfertigt.

Optisch fällt der Film ansonsten jedoch nicht weiter aus dem Rahmen, akustisch dank der sehr präsenten Musik (Hansjörg Kohli) allerdings schon. Bereits der Auftakt mit Eindrücken aus einem Club ist in dieser Hinsicht ein kleines Gesamtkunstwerk, weil sich in die Musik ein immer lauterer Herzschlag mischt, der klanglich in die Szene mit dem streitlustigen Pärchen überleitet und schließlich die Klammer zum Finale bildet. Trotzdem waren einige der früherer Verfilmungen deutlich fesselnder.