Kontemplation ist eine Gebetsform, die manche Überraschung bereithält auf dem Weg in die göttliche Stille. Die Äbtissin Mareile Preuschhof aus dem evangelischen Kloster Wennigsen erklärt im Gespräch mit evangelisch.de wie Übende eine entspannte Haltung einnehmen können und welche verschiedenen Kontemplationswege es heute gibt.
Kontemplation ist eine Gebetspraxis, die zum Loslassen von allen weltlichen Sorgen und Lasten einlädt, die zur Befreiung werden kann. Und trotzdem ist sie wenig bekannt. Dabei ist die Kontemplation in vielen Religionen zu Hause. Die wortwörtliche Übersetzung "Betrachtung" sollte nicht abschrecken. In den frühchristlichen Jahrhunderten bis ins späte Mittelalter war die Kontemplation gefragt, nicht nur im Kloster. Heute kennt man neben den Kontemplations-Klassikern wie Bildbetrachtung von Ikonen oder Naturfotos auch dynamische Varianten wie Tanzen, Singen, Kalligrafie oder in der Natur aufgehen, zählt Mareile Preuschhof auf. Die Äbtissin aus dem evangelischen Kloster Wennigsen bei Hannover leitet selbst Kontemplation an.
Einmal die Woche lädt die kleine geistliche Frauen-Gemeinschaft in die Kapelle aus der frühen Gotik zu dieser Gebetsform ein. Gäste sind willkommen. Warum Kontemplation so faszinierend ist? Weil es ein Weg in Stille, die Begegnung mit Gott sein könne, glaubt die Äbtissin. Wie im Herzensgebet werde eine Übung wieder und wieder wiederholt. Im Tanz könne das eine einfache Schrittfolge sein. "Bis man irgendwann nicht mehr an die Schritte denkt, sondern einfach nur in Bewegung mit der Musik ist", sagt Preuschhof. "Man lässt sich einfach hineinfallen" – so könne kontemplatives Beten beginnen. "Es ist ein großes Loslassen", so die Theologin. Und zwar auf verschiedenen Ebenen.
Grundlage für alles Üben sei die Vorstellung, "dass Gott überall ist". Also "um uns herum, in uns", auch in der Natur. In die Tiefe kommt man, indem man vom Alltagsbewusstsein lässt, von allen Sorgen und Nöten durch die Fokussierung. Und in der Praxis, sei es Tanzen, Singen oder Schauen, konzentriere man seinen Geist auf eine einzige Übung. Es ist ein intuitiver Prozess. Wie beim Herzensgebet, das sich auf Worte des Herzens konzentriert. Diese mantrische Praxis zählt auch zur Kontemplation. Wenn man sein Wort, seinen Anker oder auch die Körperübung macht, werde man in dieser Versenkung ganz still.
Begegnung mit dem Göttlichen möglich
Die Äbtissin umschreibt das Geschehen so: "Alle Erwartungen an den heutigen Tag lasse ich los. Meine Sorgen um Kinder oder Eltern sind dann nicht im Blick. Das Loslassen heißt auch, das Gestern und Morgen loslassen." Das sei wirklich eine große Aufgabe, weil Menschen aus Erinnerungen leben. "Wir planen und wollen alles unter Kontrolle haben, was auf uns zukommt." Aber das spiele auf dieser Ebene keine Rolle. Und wenn man weiter in die Tiefe und in die Stille gehe, könne es eine Begegnung mit dem Göttlichen geben. Ein Einssein. Und dies verändere sich und verändere den Menschen. Und es gebe wirklich viel, was loszulassen sei, sagt sie lachend. Auch auf körperlicher Ebene. Auch die Muskeln würden eingeladen locker zu werden.
Wenn man nach und nach von Vorstellungen loslassen kann, etwa dass man ein schweres Leben gehabt habe, dann könne das wie eine Befreiung sein. Und vorher sollte da auch Raum sein, negative Gefühle, die in der Stille auftauchten anzuschauen. Man könne darüber Tränen vergießen und vielleicht irgendwann seinen Frieden damit machen. Eben mit diesen Geschichten, die einen geformt und vielleicht auch eingeengt haben, sagt Preuschhof. Und dann "entsteht etwas Neues, Einsichten, Verbundenheit".
Das Wichtigste sei am Ende aber die Beziehung zu anderen Menschen. Auch der Körper werde in diesen Übungen "gewürdigt". Denn er werde in der Kontemplation als "Tempel Gottes" verstanden. Dabei könne die Konzentration auf den eigenen Atem helfen. Oder auf die Musik. Doch auch das werde am Ende losgelassen. Die Äbtissin sieht das Beten zwar als zentral in ihrem Leben an, das Wichtigste sei aber, sich auch den anderen Menschen zuzuwenden, die Beziehung zu anderen Menschen. So verstehe sie auch Jesu Worte, als er auf das biblische Gebot verweist, Gott und den Nächsten zu lieben wie sich selbst.
Schaut Gott durch eine Ikone auf den Menschen?
Noch einmal zurück zur Dynamik der Kontemplation. Ein Zugang in die göttliche Stille könne auch beim Versenken in ein Bild entstehen. Beim Ikonenbetrachten aus der östlichen Kirche gibt es die Vorstellung, dass Gott den Menschen durch die Ikone anschaut oder man hinter der Ikone Gott findet. Diese Perspektive arbeite in dem Übenden weiter. Eigentlich gebe es da keine Grenzen für die Übung, alles ist gut, was dem Loslassen dienen kann.
Äbtissin Preuschhof verweist auf das steigende Interesse an Naturspiritualität, dass Menschen die Natur aufsuchten, nicht im Sinne von "Oh ist das schön", sondern dass sie sich wirklich als Teil der Schöpfung empfänden. Eine weitere Möglichkeit oder ein Zugang zu Kontemplation. Schließlich gebe es auch Menschen, den gefalle das Sitzen gar nicht, die können in die Bewegung gehen. Die Theologin ist da ganz pragmatisch: Alles, was der Freiheit diene, was dem Leben diene und nicht der Zerstörung, könne sich für Kontemplation eignen. Es gehe auch darum, sich und seine Planung am Ende nicht so wichtig zu nehmen.
Preuschhof fasst ihre Erfahrung so zusammen: "Dass ich Bedeutung habe für andere Menschen, in dem Sinne, dass ich stolz bin auf das, was ich leiste. Das alles ist dann nicht mehr so wichtig, weil in der Tiefe ist die Nähe zu Gott das Wichtigste. Und da habe ich das Glück, dass ich diese Nähe immer wieder erfahre und dann die eigene Persönlichkeit plötzlich ganz unwichtig wird".
Und nur über diese Erfahrung kann sich Preuschhof auch erklären, dass gläubige Menschen wie Etty Hillesum oder Edith Stein oder Dietrich Bonhoeffer die Stärke gehabt hätten, sich auch in besonders schwierigen Lebenssituationen anderen Menschen zuzuwenden, weil sie ihr eigenes Leid nicht so wichtig nehmen. Man kann erkennen, dass man von Gott geliebt wird so wie man ist und nicht weil man besonders fromm war. Sie verweist auf Martin Luther, denn der habe lange gedacht, man müsse sich kasteien, damit Gott an einem Gefallen findet. Ein Irrtum. Und das sei später auch in seine Theologie eingeflossen.
Sich selbst nicht so wichtig nehmen
Übrigens: In der Kontemplation sei wie in der Tradition des Herzensgebets eine geistliche Begleitung hilfreich, weil auch hier belastende Bilder aufsteigen könnten. Die Äbtissin betont, dass für sie die Beziehungspflege neben der Kontemplation wichtig sei. Sie sagt: "Meine Art religiös zu leben, ist auch immer verbunden mit anderen Menschen und dem, was zwischen Menschen entsteht. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber nennt das den heiligen Raum." Dass die Menschen diese zugewandte Art kultivieren, das wünscht sich die Äbtissin. Sie glaubt, das würde auch der Gesellschaft guttun. Die Schwestern aus dem Kloster Wennigsen hätten, bevor sie ins Kloster gingen, oft mehrere Berufe gehabt, waren verheiratet, haben Kinder und Enkel. Auch die Äbtissin hat zwei erwachsene Kinder und war einst Hebamme und in der Hospizarbeit tätig, bevor sie Theologin wurde.