Syrisch-orthodoxe Christen sorgen sich

beschädigtes Plakat des verstorbenen ehemaligen syrischen Präsidenten Hafis al-Assad
Omar Sanadiki/AP/dpa
Ein beschädigtes Plakat des verstorbenen ehemaligen syrischen Präsidenten Hafis al-Assad ist über den Tribünen des Stadions in Damaskus zu sehen.
Interview zur Lage in Syrien
Syrisch-orthodoxe Christen sorgen sich
Die Lage in Syrien ist unübersichtlich. Es ist ungewiss, wie es weiter geht, vor allem mit den religiösen Minderheiten im Land. In Berlin ist die Kirche Mor Jacob Dasrug an der Potsdamer Straße die größte syrisch-orthodoxe Gemeinde der Hauptstadt.

Zwei Gemeindeglieder waren jetzt zu einem Interview bereit. Trotz aller Freude über den Fall des Assad-Regimes überwiegt die Sorge um ihre Glaubensgeschwister in der Heimat.

Der Ingenieur Amill Gorgis ist Ökumene-Beauftragter der Syrisch-Orthodoxen Gemeinde Mor Jacob Dasrug in Berlin. Er weiß nicht, was die neuen Machthaber rund um die Rebellengruppe HTS nun tun werden. "Die Art, wie sie mit ihren Gegnern umgehen, macht uns große Sorgen. Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit, sondern es ist eine Rache", sagt Gorgis.

Es sei die Rache der islamistischen Sieger an der Familie Assad und den Folterknechten in den Gefängnissen zu befürchten. Aber wie weit geht die Selbstjustiz? In der Berliner Gemeinde befürchtet man, dass auch die christliche Minderheit in den Fokus geraten könnte. Denn ihr wird eine gewisse Nähe zum Assad-Regime unterstellt. Dabei seien sie in einem Dilemma, sagt Gorgis: "Die Christen konnten nicht in den Reihen der Islamisten sein, weil das Weltbild der Christen mit dem politischen Islam nicht übereinstimmt. Also gab es zwei Fronten. Entweder die Seite der Islamisten oder die Seite von Assad."

Die Christen hätten als dritte Option eine nichtbewaffnete Opposition bilden können, die versucht hätte, mit friedlichen politischen Mitteln für ein neues Syrien zu arbeiten. Aber die Islamisten seien an einem solchen christlichen Oppositions-Partner nicht interessiert gewesen.

Auch wenn der neue Machthaber Al-Jolani, bürgerlich Ahmad Hussein Al-Schara, einen friedlichen Übergang versprochen hat, ist das Misstrauen groß. Denn den neuen islamistischen Machthabern wird eine gewisse Bildungsferne unterstellt. Sie glaubten, dass die syrische Geschichte erst mit dem Islam begonnen habe. Das gefährde die Legitimität der älteren ethnischen wie religiösen Minderheiten im Land.

Amill Gorgis

"Ich glaube nicht, dass Al-Jolani, jetzt Ahmad Hussein Al-Schara weiß, was Syrien ist. Syrien ist älter als der Islam. Dort waren schon vorher Armenier, Orthodoxe, Katholiken und die Drusen zum Beispiel. Oder wir haben noch die Kurden. Jemand, der das Land führt, sollte mindestens die Vergangenheit und die Geschichte dieses Landes kennen", sagt Jouliette Kourie aus der syrisch-orthodoxen Gemeinde Berlin.

An das Versprechen, nun würden alle Minderheiten geschützt, glaubt die syrische Christin nicht. "Die Reden von ihm machen uns Angst, denn seine Reden sind islamische Reden. Er verspricht die Unterstützung von Minderheiten. Dass sie am Leben bleiben, Essen und Trinken bekommen. Aber eine Rolle? Nein", so Jouliette Kourie weiter.

Jouliette Kourie

Statt sich Hoffnung auf eine politische Beteiligung zu machen, müssten Christen nun um ihr Leben fürchten. In der Berliner Gemeinde machen Medienberichte aus Syrien die Runde, nach denen islamistische Rebellen erst vor wenigen Tagen in der Provinz Homs ein christliches Ehepaar ermordet haben. Amill Gorgis fürchtet, dass das keine Einzeltat bleibt: "Das sind die Mittel, wie man Angst schüren kann. Wenn die Weltgemeinschaft nicht unterstützend wirken kann, dann werden wir bald im Nahen und mittleren Osten eine christenfreie Zone haben. Und wenn die Christen dort verschwinden, wird die Gesellschaft noch radikaler. Darüber sind auch die liberalen Muslime traurig, die gut mit den Christen ausgekommen sind."

Schon in den letzten Jahren ist der Bevölkerungsanteil der Christen in Syrien von acht Prozent auf heute nur noch zwei Prozent gesunken. Zu befürchten ist, dass bei steigendem Druck auch noch die letzten Christen das Land verlassen werden müssen.

Dass deutsche Politiker nun laut über die baldige Rückkehr syrischer Flüchtlinge nachdächten, beweise nur, dass sie keine Ahnung von den Verhältnissen hätten. Er jedenfalls könne momentan niemandem zur Rückkehr raten, sagt Amill Gorgis: "Ich glaube die Syrer, die hier mit Arbeit und Bildung Fuß gefasst haben, werden sich drei Mal überlegen, ob die zurückkehren. Für die syrischen Christen kann ich das im Augenblick fast 100-prozentig ausschließen. Denn einen Christen, der dort zurückkehrt, erwartet nichts Gutes."