Für die gesamte Schöpfung

Weltweit größter Eisberg A23a setzt sich in Bewegung auf den Weg nach Norden.
Ian Strachan/Eyos Expeditions/dpa
Weltweit größter Eisberg A23a setzt sich in Bewegung auf den Weg nach Norden.
mission.de
Für die gesamte Schöpfung
Nicht erst seit dem Erstarken rechter Parteien wird das ökologische Engagement von Christ:innen in Frage gestellt. Sind die Verkündigung des Evangeliums und das Gewinnen von Menschen für den christlichen Glauben nicht wichtiger als Artenschutz und Einsatz gegen den Klimawandel? Warum diese Gegenüberstellung weder aus biblischer noch aus weltkirchlicher Sicht trägt, erklärt Dietmar Müßig.

Während ich diese Zeilen schreibe, ist in Kolumbien gerade die Konferenz über die weltweite Artenvielfalt mit mageren Ergebnissen zu Ende gegangen; und die Klimakonferenz in Aserbeidschan hat begonnen. Dass weder Bundeskanzler Olaf Scholz, noch der französische Präsident Emmanuel Macron oder die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen daran teilnehmen, macht deutlich, dass wichtige Politiker:innen trotz anders lautender Sonntagsreden immer noch nicht verstanden haben, was derzeit auf dem Spiel steht. Ganz anders Papst Franziskus. Er hatte im letzten Jahr als Oberhaupt des Vatikanstaates an der Klimakonferenz teilnehmen wollen und wurde nur aus gesundheitlichen Gründen im letzten Moment davon abgehalten. In seinem Rundschreiben Laudate Deum, das er zur Vorbereitung auf diese Konferenz verschickt hatte, wies er darauf hin, dass es vor allem Mitglieder der Zivilgesellschaft sind, welche auf die Schwächen der internationalen Gemeinschaft und ihren Mangel an Aufmerksamkeit für die grundlegenden Menschenrechte aufmerksam machen. Dabei üben gerade die als radikal verunglimpften Gruppen, so Franziskus, zu Recht Druck auf die Regierenden aus. Schließlich müsse sich heute jeder Mensch vor Augen halten, dass die Zukunft der nachfolgenden Generationen auf dem Spiel stehe.

In der Tat machen Wissenschaftler:innen darauf aufmerksam, dass uns nur noch fünfzehn Jahre zur Verfügung stehen, bevor sich das Zeitfenster schließt, innerhalb dessen die Menschheit noch wirksame Maßnahmen gegen die Erdüberhitzung ergreifen kann. Aber ist es deshalb nötig, dass sich der Papst in die Politik einmischt? Und sollen sich Kirchen überhaupt zur Klimakrise und ähnlichen Themen äußern? Ein Blick auf das Ende des Markus-Evangeliums hilft an dieser Stelle weiter. Anders als im bekannten Missions-Befehl aus dem Matthäus-Evangelium ruft Jesus dort seinen Jünger:innen zu: "Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!" (Mk 16,15). Die frohe Botschaft des Mannes aus Nazareth richtet sich nicht nur an Menschen. Sie gilt auch unseren Mitgeschöpfen, ja, allem Geschaffenen. Missionieren heißt, so verstanden, nicht, möglichst viele Menschen zu taufen; sondern sich für Gottes gute Schöpfung einzusetzen. Dies verlangt nicht nur sporadische Aktionen, sondern eine tiefgreifende ökologische Umkehr.

Der Klimawandel raubt die Lebensgrundlage

Dafür müssen wir auch unser Verhältnis zu den Tieren überdenken. Am Anfang des Markus-Evangeliums ist davon die Rede, dass Jesus nach seiner Taufe in der Wüste bei den wilden Tieren lebt. Und unmittelbar vor seiner Aufnahme in den Himmel sagt Jesus den Glaubenden zu, sie würden Schlangen anfassen können, ohne dabei Schaden zu erleiden. Zeitgenössische Hörer:innen fühlten sich damit an das Jesaja-Buch erinnert. Dort wird im 11. Kapitel mit starken Bildern eine Vision vom messianischen Friedensreich entworfen: Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus (Jes 11,6-8).

Doch die Realität unseres Planeten sieht vielfach anders aus. In Bolivien, dem Partnerland des Bistums Hildesheim, sind zwischen Juli und September dieses Jahres über 10 Millionen Hektar Regenwald abgebrannt – eine Fläche, größer als die gesamte irische Insel! Doch die Regierung unternimmt nichts dagegen. Auch deshalb, weil sie Verträge unterzeichnet hat, den Export von Rindfleisch nach China zu verdreifachen. Viele indigene Kulturen in den bolivianischen Tropen glauben zwar an die Existenz besonderer Geistwesen, welche als Herr*innen des Waldes oder der Flüsse die dort lebenden Tiere vor Überfischung oder übermäßiger Jagd beschützen, indem sie die Verursachenden bestrafen. Doch fallen auch in Amazonien solche Regeln immer mehr den verzweifelten Versuchen der Bevölkerung zum Opfer, durch den Export von Rohstoffen, Devisen zu erwirtschaften. So wird immer mehr Gold mithilfe von flüssigem Quecksilber aus dem Schlamm der Flüsse gelöst. Die gesundheitlichen Folgen für Mensch und Tier sind fatal – und werden doch oft ignoriert. Ebenso wie die Tatsache, dass der Klimawandel die künftigen Generationen ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Die ganze Schöpfung ist gemeint

Während auf unserem Planeten Erde jeden Tag bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten aussterben, weil durch unseren ausufernden Lebensstil ihre Lebensräume vergiftet oder ganz zerstört werden, kommt in der Vision des Propheten Jesaja die gegenseitige Vernichtung an ihr Ende. Wo Gottes Geist wirksam wird, da kehrt Friede ein zwischen Tier und Mensch. Und die Menschheit wird – im Bild des Kindes – zur Hüterin der Tiere. Auch diese selbst tun sich gegenseitig kein Leid mehr an. Vielmehr frisst der Löwe Stroh wie das Rind – vegetarische oder gar vegane Ernährung als Aspekt radikaler ökologischer Umkehr, die leben lässt.

Der Traum vom Reich Gottes, wie ihn das Jesaja-Buch entfaltet, ist stark irdisch gedacht. Er gilt für diese Erde und für unsere Zeit und schließt das Wohlergehen der gesamten Schöpfung mit ein. Jedes Handeln, das aus Sorge für das gemeinsame Haus der Schöpfung geschieht, ist deshalb missionarisch. Denn es trägt zur Verkündigung des Evangeliums an die gequälte Schöpfung bei. Und hoffentlich auch dazu, dass etwas vom messianischen Reich, von dem Jesaja geträumt hat, hier und heute Wirklichkeit wird.

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