TV-Tipp: "Tatort: Fährmann"

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Sonntag, 22. Dezember: ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Fährmann"
Ein Serientäter mordet mit Bezug zur griechischen Mythologie. Auch die Zürcher Tatort-Kommissarin Isabelle Grandjean erliegt der Faszination von "Marek".

In der griechischen Mythologie bringt der Fährmann Charon die Verstorbenen über den Totenfluss in den Hades - allerdings nur, wenn sie einen Obulus dabei haben. Wer ohne den Charonspfennig am Ufer erscheint, muss hundert Jahre lang als Schattenwesen auf die Überfahrt warten. Es ist also durchaus ein Zeichen des Mitgefühls, wenn ein Mörder seinen Opfern für ihre Reise ins Jenseits eine Münze unter die Zunge legt.

Ohnehin betrachtet der Mann sein tödliches Werk offenbar als Akt der Gnade, denn er tötet nur jene, für die im erbarmungslosen Räderwerk des Kapitalismus kein Platz mehr ist. Zuvor hat er allerdings als Unternehmensberater höchstselbst dafür gesorgt, dass sie aussortiert wurden.

Von all’ dem hat Isabelle Grandjean natürlich keine Ahnung, als sie auf dem Zürcher Weihnachtsmarkt von einem Mann angesprochen wird. Der Fremde (Lucas Gregorowicz) stellt sich als "Marek aus Warschau" vor. Wegen eines Gehirntumors läuft seine Uhr ab, und weil er keine Zeit für "korrektes Sozialverhalten" hat – "Komm’, das Leben ist kurz" –, landen die beiden umgehend in seinem Hotelzimmer.

So konnte theoretisch auch ein romantisches Drama beginnen, selbst wenn das inoperable Vorzeichen ein Happy End aussichtslos erscheinen lässt. Die ersten Bilder lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass sich "Fährmann", der achte "Tatort" mit dem Duo Grandjean und Ott (Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler) in eine gänzlich andere Richtung entwickeln wird: Der famos gefilmte Prolog zeigt Charon auf seinem Kahn im Nebel, derweil Marek im Diesseits seinem jüngsten Opfer "gute Fahrt" wünscht. Kurz nach dem Schäferstündchen erhält Grandjean einen Brief mit dem Spruch "Nichts leichter, als in den Hades hinabzusteigen, weh’ dem, der den Schritt wendet und an die Luft der Erde zurückkehren will."

Sehr viel später wird tatsächlich jemand von den Toten zurückkehren, aber zunächst führen die Koordinaten auf der Vorderseite des Schriftstücks zu einer Leiche mit einer antiken Münze unter der Zunge. Dass Grandjean die Drachme verschwinden lässt, kann sie den Job kosten, hat aber einen guten Grund: Vor zwanzig Jahren ist es ihr als Anfängerin gelungen, einen Mörder zur Strecke zu bringen. Die Handschrift war identisch: Tod durch Schierling, Münze im Mund.

Sie hat den Mann damals so lange bearbeitet, bis er gestand; anschließend hat er sich das Leben genommen. Für die Polizistin war die schlagzeilenträchtige Lösung des Mordfalls der Anfang einer Laufbahn, die sie bis nach Den Haag zum Internationalen Gerichtshof führte. Anfangs klammert sie sich an die Hoffnung, der Täter von damals habe einen Komplizen gehabt, aber schließlich kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sie einen Unschuldigen auf dem Gewissen hat.

Schon allein die Handlung ist ungewöhnlich, zumal sich das Drehbuch zunutze macht, dass die beiden Ermittlerinnen nicht immer an einem Strang ziehen: Weil sich Grandjean krankgemeldet hat, um sich in ihrem früheren Heimatort die alten Akten vorzunehmen, muss Ott allein ermitteln. Dank global vernetzter Datenbanken findet sie raus, dass die Zürcher Tat nicht die erste dieser Art war; und natürlich fördert die Suche in den digitalen Archiven irgendwann auch den Namen der Kollegin zutage.

Seine eigentliche Faszination verdankt "Fährmann" jedoch der romantischen Ebene: Grandjean trifft sich weiterhin mit Marek, nicht ahnend, dass der charmante Pole sie als seine Schöpfung betrachtet, weil seine damaligen falschen Spuren die Basis ihrer späteren Karriere waren. 

Frühere "Tatort"-Beiträge des Schweizer Fernsehens erzählten ebenfalls interessante Geschichten, aber die Umsetzungen waren oftmals allzu spannungsarm. "Fährmann" ist dagegen durchgehend fesselnd; selbst einige aufgesagt und auch deshalb wie Fremdkörper wirkende Exkurse über Kapitalismus stören den Handlungsfluss nicht weiter.

Regisseur Michael Schaerer hat, ebenfalls nach einem Drehbuch von Stefan Brunner und Lorenz Langenegger, auch den letzten Film mit dem Zürcher Duo gedreht, aber "Von Affen und Menschen" (2024, über eine tödliche Kettenreaktion) war allzu spannungsarm umgesetzt. Dass diesmal schon mit den ersten Bildern verraten wird, wer für die Taten verantwortlich ist, verleiht der Liebelei zwischen Grandjean und dem Serienmörder sogar einen zusätzlichen Nervenkitzel. Die Bildgestaltung ist zudem von hoher Qualität. Schon der erste Leichenfund ist dank Kamera (Gabriel Sandru) und Musik (Mirjam Skal) ein packendes kleines Meisterstück, obwohl völlig klar ist, was passieren wird, und das Finale ist ohnehin hochdramatisch.