Santiago, La Paz (epd). In Bolivien bestimmt am Sonntag die Bevölkerung die Zusammensetzung eines Großteils der obersten Gerichte. Zur Wahl stehen 94 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich um Posten im Verfassungsgericht, im Obersten Gerichtshof, im Umweltgerichtshof sowie im Rat des Justizwesens bewerben. Die Teilnahme ist für die 7,3 Millionen stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger des Landes obligatorisch. Im Zuge der Wahlvorbereitungen wird Sonntag der Personenverkehr weitgehend eingestellt. Zudem gilt ein striktes Alkoholverbot.
Seit 2011 wählt die bolivianische Bevölkerung ihre Richter direkt für sechs Jahre. Bei den vergangenen Wahlen 2011 und 2017 wurden jedoch rund 60 bis 70 Prozent der Stimmen ungültig oder als Blankostimme abgegeben. Die obersten Gerichte urteilten in der Vergangenheit meist im Sinne der Regierung.
Der Präsident der nationalen Handelskammer, Jaime Ascarrunz, kritisierte die Politisierung der Richterwahlen. „Richter sollten keiner politischen Partei angehören“, sagt er dem evangelischen Pressedienst (epd). Dagegen betonte der nationale Ombudsmann, Pedro Callisaya Aro, die direkte Wahl der Richter könne die Legitimität und Unabhängigkeit der Justiz gegenüber Legislative und Exekutive stärken. Dennoch sei der Volkswille bei diesen Wahlen nicht ausreichend repräsentiert.
Wegen rechtlicher Streitigkeiten über die Zulassung bestimmter Kandidaten entschied das für die Wahlen zuständige Gremium, in einigen Wahlkreisen keine Neuwahlen für bestimmte Posten abzuhalten und bisherige Richter vorerst im Amt zu belassen. „Das führt zu einem künftigen Kräfteverhältnis, das den Status quo aufrechterhält“, sagte Callisaya dem epd.
Bolivien ist das bisher einzige Land in Lateinamerika mit direkter Wahl der Richterinnen und Richter. In Mexiko sollen sie sich im Juni erstmals zur Wahl stellen. In Bolivien gilt die Abstimmung als Voraussetzung für die Präsidentschaftswahlen im August 2025. Für das höchste Staatsamt bewerben möchte sich unter anderem Ex-Präsident Evo Morales (2006-2019). Dessen Kandidatur wurde jedoch durch ein Gericht untersagt, da die Verfassung eine dritte Wiederwahl verbietet. Eine Neubesetzung der Gerichte könnte diese Entscheidung jedoch revidieren. Bereits 2017 hatte ein Gericht Morales eine Wiederwahl ermöglicht, obwohl die Bevölkerung in einem Referendum eine erneute Kandidatur abgelehnt hatte.