Der andauernde Krieg in Gaza sowie der ständige Luftalarm überschatten die Festzeit, weshalb auch christliche Pilger derzeit rar sind. Der Tourismus leidet auch aufgrund zahlreicher gecancelter Flüge, die sich aufgrund der eskalierenden Lage zwischen Israel, Iran und dem Libanon häufen. Einige Fluggesellschaften lassen Strecken von und nach Tel Aviv sogar bis Ende März 2025 ausfallen.
Bedrückend ist die Situation auch für die lokale Bevölkerung Nazareths: "Bei den Flugzeug- und Sirenengeräuschen fällt es einem schwer, sich vom Krieg abzulenken", erzählt die 29-jährige Nadine, die der arabisch-christlichen Minderheit angehört. Obgleich die Stadt sich im Norden des heutigen israelischen Staatsgebietes befindet, wird sie überwiegend von arabischen Palästinensern bewohnt, die jedoch über die israelische Staatsbürgerschaft verfügen. "Normalerweise kommen auch jüdische Israelis aus anderen Städten nach Nazareth, um die Festlichkeiten zu bewundern, aber in diesem wie im vorherigen Jahr gibt es weder Beleuchtungen noch Weihnachtsmärkte, weshalb sich ein Besuch für viele nicht lohnt", erzählt Nadine.
Nazareth ist die Stadt mit der größten christlichen Gemeinschaft innerhalb Israels. Etwa 30 Prozent der Einwohner sind arabische Christen, während die Mehrheit (etwa 70 Prozent) muslimisch ist. Huda Abu Ahmad, eine Freundin von Nadine, ist Muslimin und berichtet ebenfalls von der trüben Stimmung in der Stadt Jesu: "Obwohl wir Muslime sind, nehmen viele von uns jährlich am Weihnachtsfest teil. Weihnachten vereint die Menschen von Nazareth, Christen wie Muslime. Doch in diesem Jahr ist die Stimmung wie im vergangenen Jahr eher kalt und traurig." Das Leid in Gaza lasse sich nicht so einfach ignorieren, fügt sie hinzu.
Christen und Muslime kommen sich näher
Dabei ist es nicht allerorts für Muslime üblich, Weihnachten zu feiern, obgleich die Rolle Jesu auch im Islam zentral ist – allerdings unmissverständlich als Prophet und nicht als Gott, wie es im Christentum der Fall ist. Trotz des theologischen Unterschieds kommen sich die Christen und Muslime von Nazareth an jenem Tag näher, an dem die Geburt von Jesu gefeiert wird, berichten die beiden Freundinnen Nadine und Huda. "Weihnachten steigert die Liebe und Harmonie zwischen den beiden Religionen", sagen sie im Interview mit evangelisch.de.
Nadine wohnt nur wenige Gehminuten von der Verkündigungsbasilika entfernt, das ist eine der wichtigsten Pilgerstätten des Christentums. An jener Stelle, in der sich die Basilika heute befindet, erschien laut christlicher Überlieferung zufolge der Engel Gabriel der Jungfrau Maria, um ihr zu verkünden, dass sie Jesus empfangen und gebären würde. Dieses Ereignis, welches auch als "die Verkündigung" bekannt ist, ist auch namensgebend für die Basilika. Diese bedeutsame Episode wird im Lukasevangelium beschrieben, wobei die Stadt Nazareth hierbei explizit genannt wird (Lukas 1, 26–27). Auch im Koran wird dieses Ereignis in der 19. Sure erwähnt, wobei die Sure sogar nach Maria (Arab.: "Maryam") betitelt ist.
Auf den Wänden des Innenhofs der Basilika finden sich zahlreiche Marien-Darstellungen aus verschiedenen Ländern der Welt. Für manche mögen einige der Darstellungen ungewohnt wirken, denn jedes Land stellt Maria und Jesu auf unterschiedliche Weise dar. So ist sie sowohl mit ihren berühmten europäischen Gesichtszügen zu sehen, die jedoch, wie die anderen dort zu sehenden Bilder, keineswegs der historischen Realität entsprechen, auch wenn sich dieses Bild im Westen eingeprägt hat. Und Maria wird auch als schwarze Frau oder als Frau mit asiatischen Gesichtszügen dargestellt.
Der Hof der Basilika zeigt damit die enorme Diversität, über die das Christentum verfügt. "In der Weihnachtszeit kommen normalerweise Besucher aus aller Welt, um die Basilika und andere Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Die Vielfalt kann man dann vielmehr spüren", erzählt Nadine. Momentan steht das Gebäude jedoch im Vergleich zu anderen Jahren eher leer, da es gegenwärtig hauptsächlich von lokalen Bewohner:innen besucht wird. Nadines Mutter besucht die Kirche jeden Sonntag, sie selbst hingegen eher unregelmäßig, wie sie berichtet.
Aufgrund der Ungewissheit des Krieges gibt es für viele Christen, wie Nadine, keine konkreten Weihnachtspläne für dieses Jahr: "Wir werden das Fest im Kreise der Familie feiern und für Frieden beten." Normalerweise ist es bei Nadines Familie Tradition, zur Weihnachtsparade der Stadt zu gehen. Aber in diesem, so wie im vergangenen Jahr, ist bei vielen in Anbetracht des Leides in der Region die Scham groß, wie gewohnt den Feierlichkeiten nachzugehen – dann passt es, dass die Parade ohnehin nicht stattfindet.
Ähnlich fühlt sich Nadines Freund Elias Mokabaa, der ebenfalls zur christlichen Minderheit in Nazareth gehört: "Angesichts der katastrophalen Zustände, die unschuldige Menschen treffen, fällt es mir schwer, an Feierlichkeiten teilzunehmen. Aus Respekt und Solidarität mit unseren Mitmenschen, die täglich auf grausame Weise ihr Leben verlieren, ist es ein humanitäres Bedürfnis, ihnen wenigstens so unsere Anteilnahme zu zeigen." Es ist die Machtlosigkeit, die für viele Palästinenser:innen Nazareths unerträglich ist. Das Einzige, was bleibe, so fügt Elias hinzu, ist zu beten, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet.