Für den Beauftragten für Flüchtlingsfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Christian Stäblein ist der jetzige Zeitpunkt nicht dafür geeignet, überhaupt darüber zu diskutieren, ob und wie Menschen nach Syrien zurückkehren sollen, sagte er auf Anfrage von evangelisch.de: "Nach über 50 Jahren brutaler Herrschaft wurde das Assad-Regime gestürzt. Das syrische Volk hofft auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit. Doch die Lage ist unübersichtlich und wie es weiter geht, ist noch sehr ungewiss. Geflüchtete aus Syrien, die bei uns sind, müssen wissen, dass sie hier weiterhin Schutz finden und nicht abgeschoben werden. Angesichts der durchaus unterschiedlichen Interessen der derzeit gemeinsam agierenden Gruppen ist Syrien auch nach Ende der Assad-Diktatur kein sicheres Land. Deswegen begrüße ich die Entscheidung des BAMF, alle Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Geflüchteten auszusetzen, bis die weiteren Entwicklungen im Land verlässlich absehbar sind."
Nach dem Umsturz in Syrien warnte auch die badische evangelische Landesbischöfin Heike Springhart Springhart vor einer Polarisierung in der Flüchtlingsdebatte und mahnte die Politik zur Besonnenheit. Die Lage sei für sie viel zu unklar, um jetzt über Rückführungen oder Abschiebungen von Geflüchteten nach Syrien nachzudenken. "Zwar seien viele Christen erleichtert, dass der Machthaber Baschar al-Assad abgesetzt wurde. Wie sich die Situation in dem Land jedoch weiterentwickle, sei völlig unklar. Erst vor wenigen Tagen habe sie eine syrisch-orthodoxe Christin per Mail gebeten, für die Menschen in Syrien zu beten", sagte sie am Montagabend beim Jahrespressegespräch der Landeskirche in Karlsruhe.
Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sagte laut Pressemitteilung am Dienstag: "Zurzeit ist noch nicht absehbar, wie sich die Situation weiter entwickeln wird. Es gibt Hoffnung, aber es lauern auch zahlreiche Gefahren. Was Syrien jetzt überhaupt nicht brauchen kann, sind machtpolitische Einflussnahmen von außen. Was Syrien braucht, ist größtmögliche internationale Unterstützung, um im besten Fall demokratische Strukturen und funktionierende Institutionen aufzubauen, in denen alle religiösen und ethnischen Gruppen und Minderheiten geschützt und beteiligt sind."
Jung empfindet es als beschämend inn dieser Situation als Erstes Abschiebungen von Schutzbedürftigen zu fordern, außerdem sei es, "kurzsichtig und politisch außerordentlich unklug." Er fordert, dass den in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrern Sicherheit und Zeit gegeben werden sollte, damit sie in Ruhe über ihre Zukunftsperspektiven entscheiden könnten. "Hilfreich wäre dafür auch, wenn sie zwischen Deutschland und Syrien reisen könnten, ohne Sanktionen oder aufenthaltsrechtlichen Folgen fürchten zu müssen. So würde ihnen ermöglicht, Angehörige zu unterstützen und den Wiederaufbau zu fördern."
Zum Tag der Menschenrechte
Die bayerische Landeskirche und die Diakonie Bayern setzen sich anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte (10. Dezember) allgemein für einen Flüchtlingsschutz unter menschenwürdigen Bedingungen ein. Die Debatte um die Migrationspolitik werde in Deutschland zunehmend einseitig und unsachlich geführt, beklagten Landesbischof Christian Kopp und Diakoniepräsidentin Sabine Weingärtner in einer Mitteilung am Montag.
So bediene etwa die Forderung, das im Grundgesetz verankerte individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen, nicht nur rechtsextreme Ressentiments, sondern verkenne auch die Realität, hieß es weiter. Nur 0,8 Prozent der Geflüchteten, die 2023 nach Deutschland kamen, erhielten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Schutz nach dem Grundgesetz. In der überwiegenden Zahl der Fälle greife der Schutz nach dem Europa- und Völkerrecht, so Weingärtner. "Das individuelle Recht auf Asyl, der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der subsidiäre Schutz - sie alle müssen erhalten bleiben, allein schon aufgrund der Geschichte Deutschlands."
"Anstandsfrist von zwei, drei Monaten abwarten"
Der Theologe und Nahostreferent der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) und Geschäftsführer des evangelischen Vereins für die Schneller Schulen (EVS), Uwe Gräbe ist verhalten hoffnungsvoll, dass sich die Lage in Syrien künftig verbessern könnte. Allerdings warnt er in einem Gespräch mit dem epd vor überbordendem Optimismus. Für viele Menschen, die seit 1970 unter der brutalen Assad-Diktatur leiden, sei der Sturz des Assad-Regimes ohne Zweifel ein Grund zur Freude. "Man muss nur in die Gesichter der Menschen blicken, die jetzt teilweise nach Jahrzehnten der politischen Gefangenschaft aus dem berüchtigten Sednaya-Gefängnis befreit wurden. Das Gleiche gilt für diejenigen, die seit 2013 fliehen mussten und sich nach ihren Heimatorten oder Familienangehörigen sehnen. Unsere kirchlichen Partner sind nun natürlich etwas vorsichtiger, warten ab, beobachten die Situation."
Auch Gräbe hat als Nahostexperte, was die rasche Rückkehr syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge aus Deutschland in ihre Heimat angeht, eine klare Meinung: "Die Geschwindigkeit, mit der solche Forderungen in Deutschland nun gestellt werden, bevor überhaupt klar ist, wie sich die Situation in Syrien entwickelt, verwundert und erschreckt mich. Für viele Flüchtlinge ist das auch gar keine Frage des 'Sollens', denn im Gegenteil wollen viele ja selbst gerne zurück in ihre Heimat, sobald das möglich ist. Andere hingegen sind mittlerweile so gut in Deutschland integriert, dass dies ihre Heimat ist, wo sie zur Schule gehen, arbeiten und Steuern zahlen. Daher mein Vorschlag: Warten wir doch zumindest mal eine 'Anstandsfrist' von zwei, drei Monaten ab, um eine Idee davon zu bekommen, wohin die Entwicklung in Syrien geht - und schauen dann, wer zurück nach Syrien kann, wer zurück will, und wer vielleicht auch einfach zurück soll, weil der Grund des Schutzes entfallen ist. Dadurch wird die Migrationskrise auch nicht größer oder kleiner." Gräbe war von 2006 bis 2012 evangelischer Propst in Jerusalem.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), sieht das Gewähren religiöser Vielfalt in Syrien als Bedingung für die Unterstützung einer künftigen Regierung in dem Land. Die Hoffnung sei, dass die Islamisten, die den Diktator Baschar al-Assad gestürzt haben, "daran interessiert sind, internationale Unterstützung zu gewinnen und sich deshalb an gewisse Bedingungen halten", sagte Schwabe dem Kölner Bistumssender "domradio.de". Der SPD-Bundestagsabgeordnete sprach in dem am Dienstag veröffentlichten Interview von einer Erleichterung, dass das syrische Terrorregime ein Ende gefunden habe. "Andererseits bleibt die Sorge, was die neuen Machthaber nun tun werden und wie das die Menschen im Land betrifft", sagte Schwabe. Wer mit Minderheiten in Syrien spreche, spüre Skepsis, "aber auch ein wenig Hoffnung, dass vielleicht der schlimmste Fall ausbleibt".
Schwabe sprach sich dafür aus, deutsche Hilfen für das Land an klare Bedingungen zu knüpfen. "Bisher war die deutsche Haltung sehr zurückhaltend. Selbst auf Bitten christlicher Gemeinden in Syrien haben wir weder Hilfsgüter geliefert noch Wiederaufbauprojekte oder Entwicklungszusammenarbeit unterstützt", erläuterte er: "Sollte die neue Führung in Syrien eine positive Entwicklung zeigen, könnten wir unser Engagement ausbauen."